Winterthur entdeckt den Kleidertausch

Immer mehr ungetragene Kleider landen im Schrank oder im Abfall. In Winterthur gibt es eine Alternative: Bei Kleidertausch-Partys wechseln Hosen, Jacken und Schuhe die Besitzer:innen und werden so zum Symbol einer wachsenden Bewegung.

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Beim Kleidertausch Winti an der Unteren Vogelsangstrasse kann jeder nach Lust und Laune stöbern. (Bild: Marit Langschwager)

Hast du dich auch schon einmal durch deinen Kleiderschrank gewühlt und gedacht: «Wow, hier hängen ja einige Teile, die ich eigentlich nie anziehe?» Damit bist du definitiv nicht allein. Vielen geht es so, sobald sie mit dem Aussortieren beginnen. Doch kaum ist der erste Stapel gemacht, stellt sich unweigerlich die nächste Frage: «Wohin mit den Sachen? Die sind doch eigentlich noch viel zu schade zum Wegwerfen …»

Genau hier beginnt eine spannende Reise: Ausgemusterte Kleidung muss weder im Schrank verstauben noch im Müll landen. Recyceln statt wegschmeissen, reparieren statt ersetzen – und tauschen statt neu kaufen. Auch in Winterthur gibt es zahlreiche Möglichkeiten, alten Kleidungsstücken neues Leben einzuhauchen – etwa beim Kleidertausch Winti. Das Prinzip ist simpel: Besucher:innen bringen Kleidung mit, die sie selbst nicht mehr tragen, und dürfen sich im Gegenzug Stücke aussuchen, die andere mitgebracht haben. Ins Rollen gebracht hat die Idee vor über drei Jahren Daniela Signer. Inspiriert von einem Kleidertausch in Uster dachte sie sich damals: «Das braucht es auch in Winti.» Seither organisiert sie gemeinsam mit ihrem Team mindestens einmal im Monat am Wochenende und zeitweise unter der Woche am Abend kostenlose Kleidertausch-Partys in der Unteren Vogelsangstrasse. Dort teilt sich die Gruppe die Räumlichkeiten mit dem Treffpunkt Vogelsang, der diese kostenfrei zur Verfügung stellt.

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Beim Kleidertausch Winti finden alte Kleidungsstücke ein neues Leben. (Bild: Marit Langschwager)

Willkommen ist fast alles – von Schmuck über Schuhe bis hin zu Herrenmode. Einzige Ausnahmen: beschädigte oder verschmutzte Stücke, Kinderkleidung und Unterwäsche. Doch der Kleidertausch versteht sich weder als Spendenorganisation noch als Sammelstelle für den Wiederverkauf. Die Idee dahinter ist eine andere: Menschen sollen zusammenkommen, sich begegnen und Freude daran haben, ihre Kleidung weiterzugeben und Neues für sich zu entdecken. Daniela und ihr Team arbeiten komplett ehrenamtlich und können weiterhin Unterstützung und helfende Hände gebrauchen: «Die Ressourcen sind ein grosses Thema. Um die Verfügbarkeit zu erhöhen, braucht es mehr finanzielle Mittel», erklärt Signer. Zwar steht sie im Austausch mit der Stadt und erhält punktuell Zuschüsse, etwa für die Mitwirkung am bevorstehenden Klimatag. Hier können Neugierige am Stand stöbern und entdecken. Langfristig wünscht sie sich jedoch, dass ihr Projekt fest in die städtischen Pläne zur Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft eingebunden wird.

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«Nicht jeder kann sich Fair Fashion leisten. Jeder soll das tun, was für ihn passt, aber ohne Druck.»

Daniela Signer, Initiantin Kleidertausch Winti

Und dieses Thema endet längst nicht an den Stadtgrenzen. Laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) sammeln die Menschen in der Schweiz pro Kopf rund sechs Kilogramm Textilien pro Jahr separat. Allein die Caritas im Kanton Zürich sortiert jährlich etwa 170 Tonnen Kleidung – doch nur rund ein Drittel davon kann weiterverkauft werden. Gleichzeitig zeigt eine Recherche der Schweizer NGO Public Eye, dass die EU im Jahr 2023 über 700’000 Tonnen Kleider und Schuhe per Flugzeug importiert und exportiert hat. Das entspricht rund 20 Flügen täglich – ein deutlicher Hinweis auf die immer kürzeren Modezyklen der Fast-Fashion-Industrie.

Diese Umstände sind Daniela bewusst. Dennoch will die 39-Jährige nicht werten oder ausschliessen: «Nicht jeder kann sich Fair Fashion leisten. Jeder soll das tun, was für ihn passt, aber ohne Druck.» Ihr gehe es darum, Bewusstsein zu schaffen und Alternativen aufzuzeigen. Mit dem Kleidertausch will sie ein Angebot schaffen, das allen offensteht und gleichzeitig ein Zeichen für die Kreislaufwirtschaft setzt. Sie erinnert sich noch gut an ihre eigenen Anfänge: «Damals wollte ich mir eine elegante Hose kaufen und bin beim Kleidertausch in Uster gelandet. Da habe ich gemerkt: Man kann sich auch so wunderbar belohnen.»

Auch auf politischer Ebene erhält das Thema zunehmend Gewicht. Die Stadt Zürich ist die erste Gemeinde der Schweiz, die bei Altkleidern konsequent auf Wiederverwertung und Recycling setzt. Ab dem kommenden Jahr wird die Firma Tell-Tex die von der Stadt gesammelten Kleidungsstücke aufkaufen. Das Modell stösst bereits auf grosses Interesse – zahlreiche Gemeinden haben sich informiert, einige prüfen derzeit eine Einführung.

Marit_Langschwager_WNTI-Portraits

Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitete unter anderem bei der NZZ und im SRF-Newsroom. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.

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