Der Ruf der Pilze

Im Oktober haben einige Medien vermeldet, dass immer mehr junge Menschen durch die Wälder streunen und auf Pilzjagd gehen. Der Tagi schrieb, dass Teenager die Rentner als Pilzsucher in Winterthur abgelöst hätten. Und im SRF-Regionaljournal Zürich-Schaffhausen hiess es: Pilzboom durch Influencer. Die Jungen seien aber nicht informiert und räumten den Wald leer, beschwerten sich alteingesessene Pilzer:innen. Dem wollte ich auf den Grund gehen und begab mich auf Spurensuche in den Wäldern von Winterthur.

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Pilze gibt es im Winterthurer Wald in allen Farben und Formen. (Bild: Gioia Jöhri)

Von Pilzen hatte ich bis anhin keine Ahnung. Deshalb habe ich mir Unterstützung geholt und bin mit Nicole Hollenstein und Ruedi Hintermeister vom Pilzverein Winterthur losgezogen. «Am besten schreibst du nicht, wo genau wir unterwegs sind. Sonst wird der Wald grad überrennt», meint Nicole kurz nachdem wir vom Weg abgebogen sind. Es komme tatsächlich vor, dass sich Leute nach Pilzkursen oder auf Hinweise im Netz an genannten Plätzen tummeln. «Unerfahrene Leute meinen dann, da habe es nur Speisepilze, da sei es safe», ergänzt Nicole. In Schweizer Wäldern gibt es jedoch etwa 9000 Pilzarten, nur ein Bruchteil davon ist essbar und eine Verwechslung mit giftigen Pilzen kann fatal sein.

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Nicole Hollenstein und Ruedi Hintermeister vom Pilzverein Winterthur nehmen mich mit in den Wald. (Bild: Gioia Jöhri)

Im Pilzverein Winterthur macht sich das gesteigerte Interesse an Pilzen bemerkbar. Während wir zwischen Staublingen und Herbsttrompeten hindurchspazieren, erklärt Nicole, dass man aber nicht sagen könne, dass es nur junge Personen seien, im Verein gebe es eine grosse Altersspanne. Nicole sagt: «Wir merken, dass die Leute seit Covid mehr im Wald unterwegs sind».  Auch ihre Pilzkurse seien meistens ausgebucht. Und Ruedi Hintermeister, Präsident des Pilzvereins Winterthur, ergänzt: «Die Leute wollen heute gesund essen und Pilze sammeln bietet sich da auch als tolles Hobby im Wald an. Es ist einfach sehr wichtig, dass man sich richtig informiert». Die beiden begrüssen es, wenn sich durch «Pilzfluencer» wie pilzeschweiz, pilzaddicted oder intothewoods_mushrooms mehr junge Leute für Eierschwämme, Maronenröhrlinge oder Parasols begeistern. Auch Ferdinand W. Uehli von der Pilzkontrolle Winterthur hat per se nichts gegen junge Sammler:innen. Schwierig sei es nur dann, wenn Unerfahrene «alles mitnehmen, was sie finden». Denn eigentlich gilt laut Pilzschutzverordnung des Kantons Zürich: Nur mitnehmen, was man kennt und nur ein Kilogramm pro Tag und Person. Wichtig ist zudem, dass man den ganzen Pilz mitbringt, sonst wird das Bestimmen schwierig. Was man auch wissen sollte: im Kanton Zürich gilt vom ersten bis zum zehnten jedes Monats Schonzeit. Das heisst, Pilze sammeln ist immer erst ab dem elften Tag im Monat erlaubt.

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Diese gesammelten Seitlinge sehen auf den ersten Blick ganz schön aus. Durch die Kontrolle haben sie es aber nicht geschafft. (Bild: Gioia Jöhri)

Wer diese Regeln befolgt, ist nicht nur sicherer unterwegs, sondern vereinfacht die Arbeit der Pilzkontrollstellen. Da sollte man zwingend vorbeischauen und sich nicht nur auf Bestimmungs-Apps verlassen. Viele Pilz-Apps versprechen Pilze zu erkennen, wenn man sie vor die Smartphone-Kamera hält. «Manche erkennen nicht mal zuverlässig Steinpilze. Man muss diese Apps einschätzen können. Sonst kann es lebensgefährlich rauskommen», meint Nicole. Seit ihrer Kindheit ist sie von Pilzen begeistert und hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Sie leitet neben Kursen im Pilzverein auch die Pilzkontrollstelle in Andelfingen. Dorthin nimmt sie mich nach unserer Waldexkursion mit. Jetzt erst verstehe ich, wie klein oftmals der Unterschied zwischen essbaren und möglicherweise schädlichen Pilzen ist. Eine Familie taucht mit einem einzigen schönen Pilzexemplar auf. Den Pilz müssen sie dann aber dalassen, da es sich um eine Nebelkappe handelt, die man nach neusten Erkenntnissen nicht mehr essen sollte. Der 32-jährige Jonas hingegen bringt ganz viele Seitlinge mit. Viele Seitlingsarten lassen sich essen, aber die mitgebrachten wahrscheinlich nicht. Nicole und ihre Kollegin fachsimpeln lange, geben sie dann aber nicht frei: «Im Zweifelsfall lieber auf Nummer Sicher gehen.»

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Ruedi Hintermeister zeigt, was ein Stäubling so kann. (Bild: Gioia Jöhri)

Allein schon auf der kurzen Pilzexkursion im Winterthurer Forst begegnen uns Unmengen an verschiedenen Pilzen. «Wer mit offenen Augen durch den Wald geht, der muss nicht lange suchen», schmunzelt Ruedi Hintermeister. Pilze gebe es praktisch überall. In Winterthur gebe es vor allem Mischwälder. Und das sei gerade für Pilzinteressierte spannend, denn: «Bei unterschiedlichen Baumarten wachsen auch andere Pilze», erklärt Nicole. Wer also in den Wäldern von Winterthur mit dem Pilzeln anfangen will, ist gut bedient. Der Besuch eines Pilzkurses und der Pilzkontrollstelle ist jedoch dringend zu empfehlen.

WNTI-Portrait-Gioia-Joehri

Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.

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