Schützenweiher nein, Ersatz vielleicht ‒ Stadtrat bleibt bei Dauercamper:innen zurückhaltend

Für die Dauercamper:innen gebe es am Schützenweiher keine Zukunft, sagt der Stadtrat. Unter Auflagen sieht er jedoch Möglichkeiten für eine Ersatzlösung.

Ich fühle mich wohl in meinen vier Wänden. Zum Glück ‒ denn anders Wohnen ist in der Schweiz ziemlich schwierig. Wir haben es am liebsten nach Postleitzahl, Wohnblock und Etage sortiert. Manche Menschen kommen mit vier Wänden im zweiten Stock aber weniger gut zurecht. Sie möchten mehr Selbständigkeit, mehr Natur, ein günstiges Zuhause oder einfach ihre Ruhe.

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Der Campingplatz und der namensgebende Schützenweiher. Das ganze Gebiet liegt in der Erholungszone und soll umfassend saniert werden. (Bild: Swissimage)

So auch die Dauercamper:innen vom Schützenweiher. Wegen der bevorstehenden Sanierung des Gebiets, das als Teil des «Stadtrandparks» in der Erholungszone liegt, müssen sie mit ihren Wohnwagen bald weiterziehen. Daran wird auch das Referendum gegen Teile des Umbaus nichts ändern, wie der Stadtrat kürzlich in einer Interpellation bekräftigte. «Aufgrund der geltenden rechtlichen Vorschriften ist die Fortführung der temporär geduldeten Nutzung [...] auch bei einer Ablehnung der Vorlage durch das Volk nicht möglich.»

Die gern zitierten «rechtlichen Vorschriften» sind natürlich nicht per Zauberhand in die Gesetzbücher geraten, sondern von uns Stimmbürger:innen geschrieben worden. Die Zeiten, in denen es weder Bau- noch Zonenordnung gab, sind zwar schon etwas her. Aber sie haben ihre Narben bis heute in der Landschaft hinterlassen.

Spreitenbach, von Osten, Einkaufszentrum, westlicher Dorfteil, Hauptstrasse nach Killwangen, Heitersberg
1955 baute der Zürcher Architekt Mario Della Valle in Spreitenbach sein Hochhaus (Bildmitte). Die 1000-Seelen-Gemeinde hatte zu dieser Zeit weder Bauordnung noch Zonenplan. Auf die Frage verdutzter Spreitenbacher:innen, wie hoch sein Gebäude noch werde, soll er geantwortet haben, er wisse es noch nicht, aber er plane mit 20 Geschossen. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Deshalb ist genauestens geregelt, was wo gebaut und wie es anschliessend genutzt werden darf. Die Kehrseite: Gewichtige Zauberwörter sind nötig geworden, wenn etwas von der streng definierten Norm abweichen soll. Eines davon ist die «nichtzonenkonforme Zwischennutzung». Diese möchte der Kantonsrat möglich machen. Die Kommission für Planung und Bau sprach sich im März 2025 mehrheitlich dafür aus, dass temporäre Nutzungen von Gebäuden und Arealen nicht unbedingt dem ursprünglichen Zweck entsprechen müssen. Kommissionsmitglieder aus Mitte, GLP, FDP und SVP lehnten den Vorschlag ab. Der Winterthurer Stadtrat schreibt in seiner Antwort zur Interpellation, es bleibe abzuwarten, ob sich mit der Änderung der Spielraum für Zwischennutzungen vergrössere.

Ein anderes Zauberwort heisst «privater Gestaltungsplan». Gesprochen hat diese mächtige Formel SP-Bauvorsteher Walter Bossert 2008, als es um die Siedlung «Grienen» ging. Im und um den ehemaligen Bauernhof zwischen Seen und Sennhof lebt bis heute eine grosse Wohngemeinschaft, allmählich hatte sich um das Gebäude eine Ansammlung aus Wohnwagen gebildet. Die Bewohner:innen gründeten nach Jahren der Duldung einen Verein, gaben sich einen gemeinnützigen Zweck und liessen einen Gestaltungsplan ausarbeiten, der wichtige Details wie Waldabstand, eine Feuerwehrzufahrt oder die Anzahl der umliegenden Bauten festlegte. Involvierte Stellen der Stadt nahmen Begehungen vor und klärten mit dem Amt für Raumordnung und Vermessung (heute Amt für Raumentwicklung ARE) die Bewilligungsfähigkeit. Nach einem rund zweijährigen Prozess genehmigte das Parlament den privaten Gestaltungsplan.

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Die Siedlung «Grienen» zwischen Seen und Sennhof liegt in der Landwirtschaftszone. Über einen privaten Gestaltungsplan legalisierten die Bewohnenden ihre Nutzung. (Bild: Swissimage)

Dieses Vorgehen wäre heute allerdings nicht mehr möglich. Vorsorglich liess die Stadt das bereits durch das ARE abklären. Gegenüber WNTI heisst es vom Amt, seit der Bewilligung 2009 habe sich der Umgang mit Kleinsiedlungen und Weilern ausserhalb des Siedlungsgebiets stark verschärft. Wohnen in der Landwirtschaftszone unterstehe heute sehr strengen Bedingungen. Dasselbe gelte für Industrie- oder Erholungszonen. 

In einer Industriezone liegt zum Beispiel die Wiese, auf der das Wagenplatzkollektiv Mumpitz (WNTI berichtete) derzeit lebt. Das Gebiet Schützenweiher ist in einer Erholungszone, momentan leben dort nicht nur die Dauercamper:innen, sondern auch das Wagenkollektiv Frostschutz. Das Kollektiv hatte sich vor zehn Jahren einen langwierigen Rechtsstreit mit der Stadt geliefert, nach einer Schlappe vor dem Obergericht liess die Verwaltung das Kollektiv gewähren.

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Zuerst war das Wagenkollektiv Frostschutz in Oberwinterthur zu Hause, damals habe es sogar einen Gebrauchsleihvertrag mit der Stadt gegeben, berichteten verschiedene Medien. Nach einer kurzen Zeit auf dem Viehmarkt und dem Reitplatz landeten die Besetzer:innen neben der Kapo am Schützenweiher. (Bild: Swissimage)

Die Stadt sei nicht verpflichtet, Land für «individuelle Wohnbedürfnisse nach Wunsch» zur Verfügung zu stellen, sagte die damals zuständige Stadträtin Yvonne Beutler (SP) dem «Landboten». Auf diesen Standpunkt stellt sich der Stadtrat ‒ wenn auch in weniger deutlichen Worten ‒ noch heute. Ein Ersatzstandort könne in Betracht gezogen werden, «sofern die Dauercampierenden einen angemessenen Mietzins leisten und die Fläche auf eigene Kosten für ihre Bedürfnisse herrichten». Zudem sieht er eine Zwischennutzung als «gangbaren Weg».

Franziska Kramer-Schwob (EVP) begrüsst, dass der Stadtrat einen Ersatzstandort nicht ausschliesst. «Noch besser wäre gewesen, er hätte gleich eine Liste mit verfügbaren Grundstücken beigelegt», sagt die Erstunterzeichnerin der Interpellation. Ob sie politisch weitere Schritte unternimmt, wusste sie am Montag noch nicht, sie sei aber weiterhin offen dafür. Klar sei, dass die Suche nach einer Ersatzlösung auch für die Dauercampierenden «mit viel Arbeit und Diskussionen verbunden sein wird».

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Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.

Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.

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