Landsgemeinde Seen – So voll war der Saal noch nie

Lichtsignale, 5G-Antennen und anhaltender Unmut über die geplante Schliessung der Ludothek. An der Landsgemeinde Seen fühlt der Stadtrat dem Quartier den Puls.

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Bis auf Christa Meier ist der Stadtrat vollzählig zur Landsgemeinde Seen erschienen. (Bild: Sebastian Galli)

Am Mittwochabend stellte sich der Stadtrat an der Seemer Landsgemeinde abermals den Fragen der Winterthurer Bevölkerung. «Es ist der Abschluss einer Triplette», merkte Noch-Stadtpräsident Mike Künzle zu Beginn des Podiums an. Diese Landsgemeinden seien immer ein guter Gradmesser für die Stimmung in den Quartieren. «Und wenn ich so in die Runde schaue, denke ich, dass die Stimmung gut ist», fügt Künzle an. Denn einen so voll sei der Saal an einer Seemer Landsgemeinde noch nie gewesen. Etwas mehr als hundert Leuten mussten der Stadtpräsident und seine Kolleg:innen an diesem Abend Rede und Antwort stehen.

Die Fragerunde startet mit einem Stottern. Auf die Frage, weshalb der Neubau der Quartieranlage Hofstetten so teuer war, reagiert Künzle verdutzt. «Diese Frage war nicht im Fragenkatalog…» Ein Lachen geht durch den Saal. Es ist nicht das einzige Mal. Bei der Kommunikation der vorbereiteten Fragen scheint es zu einem Missverständnis gekommen zu sein. Auf die nächste Frage aber kann Stefan Fritschi stellvertretend für Christa Meier antworten – sie hatte sich aufgrund eines anderen Termins abgemeldet. Wie es denn um die geplante Instandsetzung der Tösstalstrasse stehe, will Moderator und WNTI-Chefredaktor Tizian Schöni von ihm wissen. Die konkreten Pläne sollen nach den diesjährigen Herbstferien vorgelegt werden, antwortet Fritschi. Dann könnte die Bevölkerung also noch Einfluss nehmen. Das Bauprojekt solle nächstes Jahr starten und 2027 abgeschlossen sein.

«Dass so viele Leute für die Ludotheken einstehen, hat uns beeindruckt»

Mike Künzle, Stadtpräsident

Zu reden gab auch die geplante Schliessung der Seemer Ludothek. Und hier schien der Fragenkatalog keine Rolle zu spielen. «Ich wusste, dass diese Frage kommt», sagt Künzle. Die Stadt habe die Option gehabt, denn Mietvertrag für die Ludothek zu verlängern. Aus finanziellen Gründen habe man sich dagegen entschieden. Dieser Entscheid sei auf grosses Unverständnis gestossen. Deshalb suche man nun nach Lösungen. «Dass so viele Leute für die Ludotheken einstehen, hat uns beeindruckt», sagt Künzle. «Damit haben wir nicht gerechnet.»

Zum Abschluss der vorbereiteten Fragen soll noch geklärt werden, wann Seen endlich ein «Schwümbi» bekommt. Die Quartierbäder stünden ohnehin schon vor grossen Herausforderungen, deshalb sei in Seen zur Zeit keines geplant, antwortet Martina Blum.

«Wer nicht Usain Bolt ist, hat Mühe, rechtzeitig und sicher auf die andere Strassenseite zu kommen»

SVP-Kantonsrat René Isler

Nach knapp eineinhalb Stunden ist der Zeitpunkt für offene Fragen aus dem Publikum gekommen. Die Mobilität scheint Seen besonders zu beschäftigen. Die Ampel beim Zebrastreifen an der Bushaltestelle Hinderdorf Seen zum Beispiel. Diese schalte nur für knapp sieben Sekunden auf Grün. Wer da nicht über die Sprint-Qualitäten eines Usain Bolt verfüge, habe grosse Mühe, rechtzeitig und sicher auf der anderen Strassenseite anzukommen, sagt SVP-Kantonsrat René Isler. Ob man das nicht anpassen können, möchte er wissen. Die Antwort von Stefan Fritschi: «Wir überprüfen das.» Ein anderes Thema betraf die 30er-Zone – das bedeutet Rechtsvortritt statt anderer Signalisationen. Da käme es oft zu brenzligen Situationen. «Und das konstante Stop-and-Go ist die unökologischste Art zu fahren», merkt jemand anderes an. Ob man das nicht anders lösen könnte? Die Antwort ist einfach: Nein. In einer 30er-Zone gelte automatisch Rechtsvortritt, das sei gesetzlich so festgelegt. Auch Zebrastreifen seien in dieser Zone nur in Ausnahmefällen möglich – zum Beispiel vor einer Schule.

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Bei seiner letzten Seemer Landsgemeinde als Stadtpräsident, tauscht sich Mike Künzle noch einmal mit der Bevölkerung aus. (Bild: Sebastia Galli)

Aber auch gesellschaftliche Fragen liegen auf dem Seemer Quartierherz. «Letztes Jahr hat es eine Technoparty gegeben, die das ganze Quartier belästigt hat», sagt ein älterer Herr aus dem Publikum. Er will wissen, was die Stadt unternehme, dass dies nicht zum Regelfall wird. Katrin Cometta hat keine abschliessende Antwort. Illegale Veranstaltungen präventiv zu verhindern, sei schwierig. Die Anrufe aus Seen hätten bei der Polizei zu Verwirrung geführt, denn die besagte Party habe im Wald bei Töss stattgefunden (der Landbote berichtete). Der Lärm scheint über den Hügel nach Seen gedrungen zu sein.

Ein weitere emotional geladene Frage wird von einer Frau aus dem Publikum gestellt – die geplante 5G Antenne an der Bollstrasse. Sie habe zusammen mit anderen Anwohner:innen Rekurs dagegen eingelegt. «Doch alle unsere Argumente wurden vom Baurekursgericht abgeschmettert», sagt sie. Die Antenne sorge bei einer nahen Naturheilpraxis für Existenzängste. «Müssen wir uns nun einfach langjährigen gesundheitlichen Gefahren aussetzen?» Der wissenschaftliche Konsens sieht keine Risiken für den Menschen bei 5G Strahlung. Darauf weist auch Mike Künzle in seiner Antwort hin. Der Bund habe in einer gross angelegten Studie zum Thema keine gesundheitlichen Risiken erkannt. Für den Bau der Antenne sei das Baurecht ausschlaggebend. Das bestätige auch die Gerichtspraxis, die sich zu dieser Thematik etabliert habe. «Zudem frage ich jetzt einfach mal in die Runde», beendete er seine Antwort. «Wer in diesem Saal hat ein Handy?»

Zu Beginn der Landsgemeinde merkte Stadtpräsidentschaftskandidat Kaspar Bopp an, dass es sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung handelt. Beim anschliessenden Apéro fällt dennoch auf – neun von zehn Kandidat:innen für den Stadtrat sind anwesend.

WNTI-Portrait-Sebastian-Galli

Seba studiert in Winti Journalismus, weiss wie man ein Bier zapft, verbringt seine Wochenenden gerne auf der Schützi und kennt in Winti allerhand spannende Figuren. Seba ist ein Urwinterthurer, aufgewachsen ist er in Veltheim. Nur eines fehlt ihm für den Winti-Ritterschlag: Geboren ist er im Triemli in Zürich.

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