Zu alt, zu wenig Frauen – aber «besser, als viele meinen»

«Besser, als viele meinen.» So beschrieb Felix Helg (FDP) bei seiner Abschiedsrede als Präsident das Winterthurer Stadtparlament. Zum Auftakt des Parlamentsbriefs haben wir die Legislative unter die Lupe genommen.

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Seit Januar 2024 tagen die Parlamentsmitglieder im sanierten Saal. Zwar mit elektronischer Abstimmungsanlage, aber ohne Tablets am Platz oder einem Livestream ins Netz. Die fast eine Million Franken teure technische Aufrüstung lehnte das Volk 2022 an der Urne deutlich ab. (Bild: Tizian Schöni)

Es ist kein Geheimnis: Aus dem Winterthurer Stadtparlament wird wenig berichtet. Nur ein Medium sei noch regelmässig an den Sitzungen präsent, sagte mir der Parlamentssekretär auf Anfrage im März. Wer sich darüber hinaus informieren will, was die Legislative entscheidet, muss sich online durch die Protokolle klicken oder selbst auf den Besucher:innenrängen Platz nehmen. Die Berichterstattung aus dem Rathaus ist ein grosses Anliegen unserer Leser:innenschaft. Im Crowdfunding war der Parlamentsbrief als erstes Zwischenziel schon nach wenigen Tagen erreicht. Und auch von Mitgliedern des Stadtparlaments haben wir vernommen: Es gibt ein Bedürfnis, gehört zu werden.

Die Kommunalpolitik kämpft nicht nur in Winterthur, sondern in der ganzen Schweiz darum, nicht noch mehr an Aufmerksamkeit zu verlieren.

Doch jetzt geht es erst einmal um die erste Sitzung im neuen Geschäftsjahr des Parlaments, das immer von Mai bis Mai dauert. An dieser wurde Felix Helg (FDP), Amtsältester und Parlamentspräsident im vergangenen Amtsjahr, verabschiedet. Der Jurist verdankte in seiner Rede, teilte aber auch Seitenhiebe aus. Oft fehle es an relevanten Informationen seitens des Stadtrats, um differenziert zu entscheiden. Oder an der Struktur, etwa in Budget- und Rechnungsdokumenten. Dennoch sei das Parlament «besser, als viele meinen.»

Stadtpräsident Mike Künzle (Mitte) gab zurück: «Dein grosses Anliegen haben wir auch heute wieder gehört, es hätte mich gewundert, wenn nicht.» Er fand aber auch lobende Worte. Helg sei «ein Vorbild in einer Welt, in der Präsidenten nicht immer als solche auftreten.»

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Das gestern gewählte Präsidium. Gemeinsam mit dem Schreiber Marc Bernhard bilden sie die Parlamentsleitung. (Bild: parlament.winterthur.ch)

Die Neuwahlen gingen ohne Überraschungen vonstatten. Philippe Weber (SP), wurde mit 49 von 58 Stimmen erwartungsgemäss zum Präsidenten gewählt. Er bedankte sich «für diese erstaunlich gute Wahl». Zufall, oder waren es die neun Voten aus der SVP, die fehlten? Wir werden es nicht erfahren, gewählt wird geheim per Wahlzettel.

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Künftig zieht der Ratssaal mit der Sixtinischen Kapelle gleich: Mike Künzle posiert mit Philippe Weber. Die Illustration erhielt Weber zum Amtsantritt von seinen Arbeitskolleg:innen. (Bild: Tizian Schöni)

Mit einem richtigen Glanzresultat schaffte es Samuel Kocher (GLP) vom zweiten ins erste Vizepräsidium. Er erhielt 57 von 58 Stimmen. Ebenso schaffte es Philipp Angele (SVP) mit 46 von 57 Stimmen ins zweite Vizepräsidium.

Zudem rückte der frisch gebackene Parlamentarier Daniel Zwahlen (FDP) in die Sachkommission Umwelt und Betriebe auf. Dies, weil seine Vorgängerin Gioia Porlezza (FDP) aufgrund eines Wohnortwechsels aus dem Parlament ausgeschieden war.

Nach der erfolgreichen Wahl verabschiedeten sich die Parlamentsmitglieder in den Apéro. Für dich ist die Sitzung aber noch nicht zu Ende. Wir stellen nämlich noch eine Kinderfrage, die nur wenige Erwachsene beantworten können:

Was ist das, ein Parlament?

Nur 13 der 160 Gemeinden im Kanton Zürich haben ein Parlament – aber rund 51 Prozent der Bevölkerung werden auf kommunaler Ebene von Parlamentarier:innen vertreten. Parlamente kommen dort zum Einsatz, wo die Gemeindeversammlung, also eine regelmässige Zusammenkunft aller Stimmberechtigten, organisatorisch schwierig wird. Kleinere Gemeinden entscheiden über ihre Geschäfte an der Gemeindeversammlung und kontrollieren dort auch ihre Exekutive, den Gemeinderat. In Städten übernehmen gewählte Volksvertreter:innen diese Funktionen im Parlament.

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Keiner der beiden Flügel stellt aktuell eine Mehrheit. SP, Grüne und AL kommen zusammen auf 25 Sitze, SVP, FDP, Mitte und EDU auf 23. (Bild: Tizian Schöni)

Aber wie fest vertritt das Parlament überhaupt das Volk? Wir haben uns die Zusammensetzung des Stadtparlaments zum Auftakt des Parlamentsbriefs einmal angeschaut.

Erstens ist es ziemlich viel älter als Winti selbst. Das Durchschnittsalter liegt bei 47 Jahren – in der ganzen Stadt gerade mal bei 40,45 Jahren. Am nächsten dran ist die EDU, aber nur durch einen glücklichen Zufall: Sie stellt einen Parlamentarier, Simon Gonçalves, mit Jahrgang 1988. Besonders jung sind die beiden AL-Mitglieder, am meisten Geburtstage haben im Schnitt die vier Mitte-Parlamentsmitglieder hinter sich.

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(Bild: parlament.winterthur.ch)

Zweitens ist auch das Geschlechterverhältnis ziemlich asymmetrisch. Nur 20 der 60 Mitglieder sind Frauen. Die SP stellt als einzige Partei mehr Frauen (9) als Männer (6). Nur die EVP stellt zwei Männer und zwei Frauen, bei allen anderen Parteien kippt die Waagschale zugunsten der Herren.

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(Bild: parlament.winterthur.ch)

Und drittens sind die verschiedenen Stadtkreise sehr unterschiedlich vertreten. Laut der Parlaments-Website wohnen je 17 Volksvertreter:innen in Oberi und Winti Stadt – diese beiden Kreise sind im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl deutlich übervertreten. Proportional auf ihre Bewohnenden aufgeteilt müssten aus Mattenbach 6, Oberi 13, Seen 10, Stadt 11, Töss 6, Velten 5 und Wülflingen 8 Parlamentsmitglieder kommen.

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(Bild: parlament.winterthur.ch)
WNTI-Portrait-Tizian-Schoeni

Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.

Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.

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