Zigi-freie MFW auf magischen Schuhsohlen

Wie wärs mit einer eigenen Währung, deren Wechselkurs sich dem Einkommen anpasst? Würdest du eine Pille schlucken, die diskriminierendes Empfinden für eine gewisse Zeit ausschaltet? Bestimmt hätte niemand etwas dagegen, sich mit Freiwilligenarbeit einen Platz im Altersheim sichern zu können. Im Zukunftslabor der Musikfestwochen wurde herumgesponnen – wie sie 2050 aussehen, lässt sich nur erträumen.

Mit dem Zukunftslabor überraschte das OK der MFW mit einem weiteren Jubiläums-Zückerli. Es wollte nicht nur in Erinnerungen von 50 Jahren schwelgen, sondern auch den Blick in die Zukunft wagen. Eingeladen wurden Sarah Bleuler und Ramona Sprenger vom Dezentrum, einem «Think & Do Tank für Digitalisierung und Gesellschaft» in Zürich. 

Ziel des fünfstündigen Workshops war es, in Gruppen ein Zukunftsobjekt zu gestalten. Oder in meinen Worten: Herumspinnen, träumen und visionieren. Und das im absolut positiven Sinne. Wir bekamen die Aufgabe, elf Trends, welche die Entwicklung der MFW beeinflussen werden, zu diskutieren und uns für zwei zu entscheiden. Zur Auswahl standen politisches Klima, wirtschaftliche Lage und Konsumverhalten, städtische Entwicklung und Infrastruktur, Kulturförderung, Gesundheit, Wertewandel, Freizeitverhalten, Nutzungskonflikte, neue Technologien, Ehrenamt und Ressourcenverfügbarkeit. 

20250813_Zukunftslabor_Maria
Pergola über der Steibi, Musikfestwochen-Coins oder Kulturdienst – wie könnte die MFW in 25 Jahren aussehen? (Bild: Andrin Fretz)

Meine Gruppe wählte Wertewandel und wirtschaftliche Lage – es ergaben sich vier Szenarien. Was, wenn der Zustand der Wirtschaft im Hinblick auf Inflation, Kaufkraft und verfügbares Freizeitbudget zu einer hohen Konsumfreudigkeit führt und gleichzeitig der Wertewandel einen immer tieferen Stellenwert hat? Jemand notierte: «Mehr internationale Acts, mehr Publikum.» Eine andere Person rechnete mit mehr Veranstaltungen, die aber jeweils auf kleinere Zielgruppen ausgerichtet wären. Meine Notiz: Profitorientiertes Kulturschaffen, weniger Herzblut. Und was, wenn Diversität, Inklusion, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gesellschaftlich und somit in der Programmgestaltung und Struktur des Festivals eine grosse Rolle spielen, die wirtschaftliche Lage aber schlecht und dadurch die Ausgabebereitschaft für Tickets klein ist? Würde Kultur zum Luxusgut, das sich nur Wenige leisten können? Würde sie mehr geschätzt? Gingen beide Trends nach unten, wäre das wohl das Todesurteil für die MFW. Für unsere Aufgabe, drei Objekte für die Musikfestwochen 2050 zu entwickeln, wählten wir ganz utopisch das schönste aller Szenarien: Gute wirtschaftliche Lage und hoher Stellenwert des Wertewandels.

20250813_Zukunftslabor2_Maria
Eine von vielen Fragen war, was wäre, würden die Menschen ihre Freizeit im Miteinander gestalten und gäbe es noch mehr öffentlichen Raum – oder eben nicht. (Bild: Andrin Fretz)

Als Kopfmensch fiel es mir schwer, mich der Utopie hinzugeben. Der Auftrag lautete: Denkt gross und diskutiert nicht mit «Ja, aber..», sondern mit «Ja, und..». Die Schlussphase wurde dementsprechend crazy und lustig. Die Ideen reichten von der riesigen Solarwasserblume, die über der Steibi wacht, bis hin zum Seifenblasen-Armband, mit dem man in eine digitale Aura tritt, die sich durch verschiedene Räume bewegt. Meine Favoritin war die Sohle, die sich automatisch an die Grössenunterschiede im Publikum anpasst. Alles Quatsch könnte man sagen. Er lässt sich aber auf realistische Bedürfnisse und Herausforderungen herunterbrechen. Das Bedürfnis nach Teilhabe etwa, oder nach Schutz. Die Herausforderung von Hitze oder Platzmangel. Die Frage der Nachhaltigkeit.

Meine Favoritin war die Sohle, die sich automatisch an die Grössenunterschiede im Publikum anpasst. Wie wärs mit einer MFW-Währung, deren Wechselkurs sich dem Einkommen anpasst? Würdest du eine Pille schlucken, die diskriminierendes Empfinden für eine gewisse Zeit ausschaltet? Bestimmt hätte niemand etwas dagegen, sich mit Freiwilligenarbeit einen Platz im Altersheim sichern zu können. Alles Quatsch könnte man sagen. Er lässt sich aber auf realistische Bedürfnisse und Herausforderungen herunterbrechen. Das Bedürfnis nach Teilhabe etwa, oder nach Schutz. Die Herausforderung von Hitze oder Platzmangel. Die Frage der Nachhaltigkeit.

20250813_Zukunftslabor3_Maria
Ein Team beschäftigte sich mit einem Winterthur, das wenig Bereitschaft für ehrenamtliches Engagement zeigt. (Bild: Andrin Fretz)

Die Herausforderungen der MFW sind die gleichen, wie die der Stadt Winterthur. Und die von Winterthur die gleichen, wie die der Welt. Auch der «MFW-Kosmos» wird in kleinen Schritten weitergedacht, von denen, die ihn bewohnen und gestalten. Und das mit den Ressourcen, die vorhanden sind. Von den crazy Ideen bleiben am Schluss vielleicht ein paar Krümel, die auf längere Sicht aber einen wichtigen Unterschied machen könnten. Die Faktoren Wachstum und Musik waren kaum Thema. Ersterer gehört für die Beteiligten offenbar nicht zwingend zum Erfolg. Die Musik ist und bleibt sowieso das unantastbare Herzstück der Sache – da waren sich alle einig.

WNTI-Portrait-Maria-Wyler

Jonglieren kann Maria eigentlich nicht. Wir finden aber schon. Denn sie schreibt für WNTI, organisiert den Alltag ihrer drei Söhne und musiziert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen machte sie beim Mamablog des Tages-Anzeigers und als freie Texterin. Heute findet sie ihre Geschichten in all den Menschen, die sie in den 20 Jahren, in denen sie in der Stadt wohnt, kennen und schätzen gelernt hat.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare