Wenn aus einer Bergreise der Ironman in Hawaii wird
Sie wollte einfach nur auf den Kilimandscharo – heute startet sie beim Ironman in Hawaii. Ohne Trainer, ohne Plan, aber mit unerschütterlichem Vertrauen in sich selbst. Eine Winterthurer Athletin geht ihren eigenen Weg.
«Eigentlich wollte ich nur auf den Kilimandscharo», sagt Michela Segalada und lacht. Sieben Jahre später hat sie sich nun für den Ironman in Hawaii qualifiziert. Ohne es überhaupt kommen zu sehen.
2018 beginnt sie zu trainieren. Täglich, diszipliniert, mit dem Ziel, auf Afrikas höchsten Berg zu steigen. Laufen, Treppensteigen, Steigung meistern. Nachdem sie die 5895 Höhenmeter hinter sich gebracht hat, spürt sie: Das Training hat ihr mehr gegeben als nur Kraft für den Aufstieg, es hat ihr Spass gemacht. Was folgt, ist eine Mischung aus Zufall, Ehrgeiz und Neugier. Eine verlorene Wette bringt sie an den Start des Aletsch-Halbmarathons. Zur Vorbereitung läuft die 35-Jährige den Halbmarathon in Winterthur und gewinnt völlig überraschend. «Damit habe ich gar nicht gerechnet», sagt sie kopfschüttelnd. Von da an reiht sich Wettkampf an Wettkampf. Der Berglauf wird zu ihrer Disziplin. 2018 holt sie sich beim Jungfrau-Marathon nach rund 42 Kilometern und 1953 Höhenmetern den dritten Platz. Im selben Jahr wird sie Vize-Schweizermeisterin im Berglauf und schafft damit den Sprung ins Nationalkader.
«Mit einer Startnummer bin ich ein anderer Mensch.»
Michela Segalda, Athletin
Dann kommt der Rückschlag: eine Wadenverletzung, Operation, Zwangspause. Doch statt aufzugeben, schwingt sich die Langstreckenläuferin auf das Rennvelo. «Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich auch beim Velofahren stark bin», sagt sie. Der Gedanke an Triathlon wird konkreter. Sie lernt Kraulen, schliesst sich dem Sportverein Finishers Winterthur an, strukturiert ihr Training neu. 2023 steht sie am Start des Inferno Triathlons – mit 5500 Höhenmetern einer der härtesten der Welt – und wird Vierte. «Obwohl ich anfangs nicht einmal schwimmen konnte, war ich auf einmal mittendrin im Game», sagt sie rückblickend. Das nächste Ziel: Ironman. In Nizza landet sie beim ersten Versuch auf Rang 27. Doch sie will mehr und nimmt Thun ins Visier, den Qualifikationswettkampf für Hawaii. Beim Ironman Thun müssen die Sportler:innen 3,8 Kilometer im See schwimmen, 180 Kilometer Velo fahren und 42,2 Kilometer laufen. Ein Tag, der Körper und Geist bis an die Grenzen fordert. Segalada gibt alles. Doch am Ende fehlen zwei Sekunden zum Podest. Der Schock darüber sitzt tief. «Ich hatte plötzlich überall Schmerzen», erinnert sie sich. Doch dann die Wende: Das neue Performertool von Ironman – ein Bewertungssystem, das Leistungen relativ zur Altersgruppe einstuft – rechnet ihre Zeit neu. Und sie qualifiziert sich doch noch für Hawaii. 10:17:51 zeigt die Uhr im Ziel. «Ich konnte es kaum glauben», sagt sie. Wie sie das geschafft hat, wisse sie selbst nicht. «Mit einer Startnummer bin ich ein anderer Mensch.»
Trotz aller Erfolge vertraut die Medizinische Praxisassistentin auf ihr Bauchgefühl, nicht auf Pläne oder Trainer. «Ich will nicht ständigen Vorgaben haben. Es ist nicht alles schwarz oder weiss und ich vertraue mir selbst.» Rund 25 Stunden die Woche steckt sie ins Training. Dabei übt die Athletin nicht nur für den Körper, sondern auch für die mentale Stärke. In Gedanken geht sie das Rennen durch und nimmt die Vogelperspektive ein.
Das helfe ihr, das Puzzle zum Erfolg vor dem Wettkampf bereits zusammenzusetzen. Was nach ihrer sportlichen Karriere folgen könnte, kann sie sich noch nicht vorstellen. Für sie ist klar: «Es ist nur eine kurze Zeit im Leben möglich, diesen Sport zu machen. Irgendwann kommt dann wieder etwas anderes – vielleicht.»
Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitete unter anderem bei der NZZ und im SRF-Newsroom. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.