Musikerlöhne beim Musikkollegium unter Druck
Obwohl Stadt und Kanton Kultursubventionen beisteuern, bleibt das Musikkollegium Winterthur bei den Löhnen ihrer Musiker:innen im Branchenvergleich zurück. Eine Herausforderung, mit der viele Kulturbetriebe vertraut sind.
Musikerinnen und Musiker gelten oft als leidenschaftliche Idealist:innen – Menschen, die ihre Kunst über alles stellen. Doch hinter der Bühne, jenseits von Applaus und Konzertglanz, stellt sich eine nüchterne Frage: Kann man davon leben? Besonders in Orchestern wie dem Musikkollegium Winterthur zeigt sich exemplarisch, wie sensibel das Gleichgewicht zwischen künstlerischem Anspruch und finanzieller Realität ist.
«Wir haben ein strukturelles Defizit», betont Sebastian Hazod. Das bedeutet: Die Einnahmen reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken – und das schon seit längerer Zeit. Gedeckt wird aus den eigenen Rücklagen «aber diese Entwicklung müssen wir stoppen», so Hazod. Der 39-Jährige ist seit Januar der neue Direktor des Musikkollegiums Winterthur. Gerade vor diesem Hintergrund möchte er die öffentliche Wahrnehmung der Branche schärfen. «Es ist mir wichtig, dass ein höheres Bewusstsein dafür entsteht, wie sparsam die Kulturbranche insgesamt arbeitet», sagt er.
Die Finanzierung professioneller Orchester in der Schweiz basiert überwiegend auf öffentlichen Mitteln. Städte und Kantone tragen einen wesentlichen Teil der Betriebskosten, ergänzt durch Beiträge von Stiftungen, privaten Gönnerinnen, Abonnenten und Ticketeinnahmen. Die Stadt fördert darüber hinaus Kulturinstitutionen über Subventionen, die in vertraglich geregelten Leistungsvereinbarungen festgelegt sind. Auch das Musikkollegium Winterthur verfügt über einen solchen unbefristeten Subventionsvertrag. Damit ist das Musikkollegium neben dem Theater Winterthur der grösste Subventionsempfänger der Stadt.
«Wir bekommen das Thema Löhne nicht ohne Hilfe eines Subventionsgebers in den Griff. Dazu haben wir die Power nicht»
Sebastian Hazod, Direktor Musikkollegium Winterthur
Das Orchester beschäftigt derzeit rund 75 Mitarbeitende. Im Orchester selbst sind 52 Musiker:innen tätig, die zusammen 43 Vollzeitstellen ausmachen. Das Orchester hat ein Jahresbudget von rund 10 Millionen Franken, etwas mehr als die Hälfte erwirtschaftet es selbst. Das sei im schweizweiten Branchenvergleich ein sehr hoher Wert. Das Orchester erhält jährlich rund vier Millionen Franken Subventionen von der Stadt und eine weitere Million vom Kanton Zürich. Dennoch, so Hazod, reichten diese Mittel nicht aus, um marktgerechte Löhne zahlen zu können.
Die Gehälter der festangestellten Musiker:innen lägen im Vergleich aller Schweizer Berufsorchester an zweitletzter Stelle. Konkrete Zahlen möchte er nicht nennen, betont aber: «Trotz aller Anstrengungen werden wir das Thema Löhne nicht ohne Hilfe eines Subventionsgebers in den Griff bekommen. Dazu haben wir die Power nicht», sagt er. Das Musikkollegium habe bereits eine interne Analyse der Lohnsituation erstellt, die derzeit von der Stadt geprüft werde. Bei der Diskussion um Löhne sei es jedoch wichtig, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, erklärt Sebastian Hazod. Orchesterkonzerte folgten ganz anderen Produktionslogiken als etwa Gastspieltheater. Unter anderem brauche ein Konzert eine Vielzahl an Musiker:innen auf der Bühne.
Die Stadt bestätigt auf Anfrage, dass sie mit allen subventionierten Kulturinstitutionen sowie mit der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich regelmässig über Finanzierung und Entwicklung im Gespräch sei. Ergebnisse gebe es bislang keine. Bekannt sei der Stadt aber, dass die Lohnsituation im Kulturbereich schweizweit anspruchsvoll sei und nicht überall den Branchenstandards entspreche – ein Thema, das weit über das Musikkollegium hinausreiche. Subventionen würden eine langfristige Grundlage schaffen, die konkrete Lohnpolitik liege jedoch in der Verantwortung der Institutionen selbst. Zudem sei die Frage nach sozialer Sicherheit und einer Ausrichtung an Branchenstandards in den letzten Jahren schweizweit stärker in den Fokus der Kulturförderung gerückt. Auch Muriel Noble Zentral-Co-Präsidentin des Schweizer Musikerverbandes betont auf Anfrage: «Es gibt in der Tat ein ernstes Problem der mangelnden Wertschätzung des Musikerberufs im Allgemeinen.»
Der Tarifvertrag des Schweizerischen Musikerverbands (SMV) definiert die Mindestgagen für freischaffende Orchestermusiker:innen – etwa 460 Franken für ein Konzertengagement oder 115 Franken pro Probenstunde. Festangestellte Orchestermusiker:innen arbeiten dagegen in festen Strukturen mit Monatsgehältern, die sich je nach Orchester, Kanton und Erfahrungsstufe unterscheiden. Auch bei ihnen orientieren sich die Gehälter grundsätzlich an den Vorgaben des SMV, ergänzt durch hausinterne Gesamtarbeitsverträge, die zusätzliche Leistungen wie Ferien, Sozialabgaben oder Pensionskassenbeiträge regeln.
Der tägliche Betrieb stehe laut Hazod zudem zunehmend unter dem Druck, Effizienz nachzuweisen und den Nutzen von Massnahmen genau abzuwägen. Dieses Denken sei nicht nur beim Musikkollegium, sondern in der gesamten Kulturlandschaft verbreitet. In Gesprächen mit anderen Kulturinstitutionen gehe es häufig um die Frage, wie zusätzliche Mittel beschafft werden können, wie sich die Branche künftig entwickeln soll und wo das Publikum von morgen herkommt. Solche Überlegungen seien heute deutlich präsenter als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren.
Die Löhne im Orchestersystem stehen somit in engem Zusammenhang mit der öffentlichen Kulturfinanzierung, wirtschaftlichem Druck und steigenden Kosten. Hazod weist darauf hin, dass dieser erhöhte Druck auch eine Verschiebung der Prioritäten bewirke: «Das nimmt natürlich auch Zeit und Energie vom tatsächlichen Kunstbetrieb weg. Wenn man sich so viel mit der Wirtschaftlichkeit beschäftigen muss, bleibt weniger Raum, um über Kunst und deren Produktion nachzudenken.» Das sei bedauerlich, aber eine realistische Beschreibung der aktuellen Situation.
Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitete unter anderem bei der NZZ und im SRF-Newsroom. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.