Auf dem Weg zu einem Israel ohne Palästinenser: Evangelikale in den Eulachhallen
Heute und morgen gastiert in den Eulachhallen die evangelikale Veranstaltungsreihe «Gather the Nations». Unter dem Deckmantel des religiösen Festivals sagen Extremisten ihre Meinung.
Dieser Text bezieht sich an mehreren Stellen auf eine ausführliche Recherche von Flimmer Media. Das Recherchekollektiv befasst sich hauptsächlich mit demokratiegefährdenden Strukturen. Genau wie WNTI finanziert sich der Verein durch Support-Abos und Einzelspenden.
Heute und morgen gastiert in den Eulachhallen die evangelikale Veranstaltungsreihe «Gather the Nations». Schon wieder, werden sich viele Winterthurer:innen denken. Regelmässig kommen religiöse Gruppen in die Eulachhallen. Auch schon waren es die Anhänger:innen des Dalai Lama oder die muslimische Community, die sich zu einem Gemeinschaftsgebet im Rahmen des Ramadan traf.
Doch nicht immer lassen sich die Glaubensrituale so einfach zuordnen wie in diesen Fällen ‒ und nicht immer sind sie frei von Kritik. Immer wieder mietet beispielsweise die spirituelle Bewegung um Amma, eine geistige Führerin aus Indien, die Hallen. Ihr Markenzeichen: Sie umarmt Menschen im Sekundentakt. Tausende kommen jeweils, um sich von der Avatar-Guru herzen zu lassen. Dass sie 2014 von einer Ex-Mitarbeiterin mit schweren Vorwürfen, unter anderem des sexuellen Missbrauchs und der Veruntreuung von Spendengeldern konfrontiert wurde, scheint heute niemanden mehr zu interessieren. Das religiöse Oberhaupt dementierte auch damals schon alle Vorwürfe ‒ und drohte Schweizer Medien mit Klagen, sollten sie die Anschuldigungen aufgreifen.
Hinter «Gather the Nations» steckt der amerikanisch-israelische Musiker Joshua Aaron. Er selbst trägt eine Kippa, hebräisches Vokabular durchzieht seine Reden, und der Veranstaltungszeitpunkt ist eng mit dem jüdischen Kalender verbunden. Möglich ist ausserdem die Teilnahme an einer Shabbat Dinner Experience (Preis: 155 Franken) und an zahlreichen «Worships».
«Er verortet sich klar in einem jüdischen Kontext», sagt Jill Marxer, Religionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt in Jüdischen Studien an der Universität Zürich. Vieles, was im messianischen Judentum passiere, sei nicht das, was heutiges Judentum, ob orthodoxes oder reformorientiertes, in sich vereine. Stattdessen sieht Marxer Verbindungen zum evangelikalen Christentum: Etwa die strenge Auslegung der Bibel und die daraus hervorgehenden Lebensformen, aber auch Jesus, der von diesen Menschen als Messias gesehen werde. Das messianische Judentum kennt ausserdem die Mission: In zahlreichen Videos bekräftigen Aaron und seine Anhänger:innen ihren Auftrag, Jüd:innen zum Glauben an Jesus Christus zu konvertieren. «Die Mission ist im Judentum nicht angelegt», sagt Jill Marxer dazu. Und an Gottes Sohn glauben die Juden nicht ‒ sie erwarten den Messias noch.
Es treffen sich also evangelikale Christen in den Eulachhallen. Was ist das Problem? Schliesslich kennt Winterthur mehrere Freikirchen, auch solche, die festivalartige Veranstaltungen nach amerikanischem Vorbild feiern. Mehrere Persönlichkeiten, die am Anlass auftreten, fallen jedoch ins Auge, zuvorderst der Veranstalter selbst. Wie Informationen des Schweizer Recherchekollektivs Flimmer Media zeigen, fällt Joshua Aaron nicht nur durch offenkundigen Support des kürzlich erschossenen rechtspopulistischen Aktivisten Charlie Kirk auf. Sondern auch dadurch, dass er sich den alleinigen Anspruch der Juden auf Israel aus der Bibel herleitet. Ein Israel ohne Palästinenser:innen.
Auch Jobst Bittner, der Gründer einer Freikirche aus Deutschland, darf in Winterthur sprechen. Wichtigster Vorwurf an seine Adresse: Mit seinem «Marsch des Lebens» hat er eine Gedenkinitiative gegründet, die den Holocaust spirituell erklärt und zu einem dämonischen Sündenfall umdeutet. Die beiden Männer zeigen beispielhaft, worum es an diesem Event auch geht: Einen jüdischen Staat mit einer ausschliesslich jüdischen Bevölkerung.
Am meisten Wind aber machte eine spezielle Personalie: Hananya Naftali, ein ehemaliger Social Media-Berater des israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu. Welche Seite er im Gaza-Konflikt vertritt, muss gar nicht erst gesagt werden. Auf seinem Instagram-Profil finden sich Lobesposts auf Charlie Kirk und den ultralibertären, argentinischen Präsidenten Javier Milei, Benjamin Netanjahu und vermutlich jedes Land, das Palästina vor den UN nicht als Staat anerkannt hat.
Er wurde aber mittlerweile ausgeladen, wie aus den Sozialen Medien hervorgeht. Ob das auf Druck der Eulachhallen AG oder einer anderen Organisation hin geschehen ist, kann nicht bestätigt werden. Verschiedene Gruppen hatten Online zu Protesten gegen die Veranstaltung aufgerufen. Die Eulachhallen AG schreibt dazu: «Obwohl wir uns als blosse Vermieterin einer Eventlocation normalerweise nicht in inhaltliche Fragen einmischen (und dies durchaus auch als diskriminierend erachtet werden kann), ist es uns im Gespräch mit dem Veranstalter gelungen, dass er kleinere Anpassungen am Line-up nachträglich vorgenommen hat.»
Für eine politische Veranstaltung hält die Vermieterin «Gather the Nations» trotzdem nicht, wie sie auf der Website deklariert. Man habe sich dazu beim Veranstalter abgesichert. Reicht den Eulachhallen dafür die Zusicherung von «Gather the Nations»? Inhaltliche Einschätzungen lägen alleine in der Verantwortung des Mieters, antwortet die Eulachhallen AG. «Selbstverständlich holen wir dazu verbindliche Zusicherungen ein – auch von anderen Stellen.» Man habe ausserdem Kenntnis davon, dass der Veranstalter den Kontakt mit allen Rednern und Sängern suche, ihnen die aktuelle Situation schildere und sie auffordere, auf politische Botschaften zu verzichten.
Und die Stadt? Ihr gehört eine der beiden Hallen. Dafür gibt es zwischen der Eulachhallen AG und der Stadt zwar eine Benutzungsvereinbarung. «Darin ist geregelt, dass die Eulachhalle 1 für sportliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle, politische und ähnliche Zwecke zur Verfügung stehen soll», schreibt Departementsvorsteherin Martina Blum (Grüne). Von Einschränkungen ist nicht die Rede. Man habe etwa ein Dutzend Meldungen aus der Bevölkerung erhalten, auch solche, die sich für eine Durchführung des Anlasses ausgesprochen hätten.
«Gather the Nations» ‒ so der Name ‒ will die Nationen zusammenbringen. Aber alles deutet darauf hin, dass heute und morgen in den Eulachhallen nicht die grosse Versöhnung, sondern eine weitere Spaltung betrieben wird. Und das in einem Konflikt, der emotional wie politisch so aufgeladen ist wie kein anderer auf der Welt.
Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.
Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.