Wohin mit Walter?

Walter Fallegger wohnt als Dauercamper auf dem Zeltplatz. Aber nicht mehr lange, wenn es nach dem Stadtparlament geht.

Am Montag nahm das Winterthurer Stadtparlament die drei Kredite zur Sanierung des Gebiets rund um den Schützenweiher an ‒ darunter auch die knapp sieben Millionen Franken für den Neubau des Campingplatzes. Er soll anschliessend dem TCS zum Betrieb verpachtet werden.

Kein Platz mehr wäre für die rund 50 Dauercamper:innen, die dort ihren festen Wohnsitz haben. Über sie wird im Moment viel gesprochen. Mit ihnen selten. Nick Wegmann hat sich dem für WNTI angenommen.

Er fühlt sich in seinem Wohnwagen sichtlich wohl: Walter Fallegger
Er fühlt sich in seinem Wohnwagen sichtlich wohl: Walter Fallegger (Bild: Nick Wegmann)

«Manchmal gibt es Situationen, in denen man sein Leben grundlegend verändern muss», erzählt Walter. Aufgrund einer solchen Situation verkaufte er seine Eigentumswohnung, was ihn vor die Entscheidung stellte, wie er zukünftig leben möchte. «Miete ich eine neue Wohnung? Wandere ich aus? Wie will ich weitermachen?» Um diese zu treffen, wollte er sich Zeit und Abstand nehmen. Also zog er mit seinem Wohnwagen auf einen Campingplatz in Winterthur. Nur zwei, drei Monate als Übergang, bis er etwas anderes gefunden hat. 

Nun, acht Jahre später, ist er immer noch hier. Nicht mangels anderer Optionen, sondern weil er das Leben als Dauercamper zu schätzen gelernt hat. Und Walter ist damit kein Einzelfall. Das verbreitete Vorurteil, dass Menschen auf dem Campingplatz leben, weil sie sich keine Wohnung leisten können, stimmt schon lange nicht mehr.

Der pensionierte Projektleiter erzählt von seiner Nachbarschaft: «Meine Nachbarin Swetlana ist Pflegefachfrau, die Nachbarin nebenan ist Kinderbetreuerin in einer Kita, eins weiter wohnt Christoph, er ist Berufsschullehrer, und auf der anderen Seite des Campingplatzes lebt ein Arzt. Das sind alles Leute mit ganz normalen Berufen.»

Walter hat sich in seinem Wohnwagen ein komplettes Büro eingerichtet, mit allem was er zum Arbeiten braucht.
Walter hat sich in seinem Wohnwagen ein komplettes Büro eingerichtet, mit allem was er zum Arbeiten braucht. (Bild: Nick Wegmann)

Da Walter hin und wieder noch als Freelancer tätig ist, hat er sich in seinem Wohnwagen ein kleines Homeoffice eingerichtet. Und auch der Rest des Wagens ist, trotz begrenztem Platz, komplett eingerichtet. Alles, was man aus einer «normalen» Wohnung kennt, findet man auch in Walters Wagen – oder im dazugehörigen Vorzelt, nur halt in einem etwas anderen Format. Sogar für liebevoll positionierte Deko reicht der Platz noch aus. Walter fühlt sich pudelwohl in seinem Wagen, und das merkt man.

Er erzählt, wie befreiend es ist, sich von materiellem Ballast zu lösen. Stattdessen schätzt er die enge Nachbarschaft, spontane Begegnungen beim Morgenkaffee und die unmittelbare Nähe zur Natur. Für ihn bedeutet Luxus keine teure Wohnung, sondern die Regentropfen auf seinem Dachfenster zu hören, bei einem Gewitter den Wagen wackeln zu spüren, am Morgen zu Vogelgezwitscher aufzuwachen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen – frei von Zwängen und Überfluss.

Walters Küche im Vorzelt ist ordentlich, praktisch und liebevoll dekoriert.
Walters Küche im Vorzelt ist ordentlich, praktisch und liebevoll dekoriert. (Bild: Nick Wegmann)

Doch genau dieses selbstbestimmte Leben ist nun in Gefahr. Nach Ablauf der Pachtfrist im September 2026 soll der Vertrag für das Mutter-Sohn Duo, das den Platz aktuell führt, nicht mehr verlängert werden. Stattdessen übernimmt der TCS. Der neue Campingplatz ziehe zukünftig wohl weniger Familien an, dafür eher Biker oder digitale Nomadinnen, meint Oliver Grützner, Direktor TCS Tourismus & Freizeit. Und die Dauercamper:innen? Da der Campingplatz Teil einer Erholungszone ist, ist das ganzjährige Wohnen dort eigentlich gar nicht gestattet. Die Stadt duldet es aber seit 30 Jahren. Auch damit wäre nach der Sanierung Schluss.

Doch Walter und seine Nachbar:innen lassen sich nicht so einfach unterkriegen. Kurzerhand schlossen sie sich zusammen und gründeten eine Interessensgemeinschaft. In einem offenen Brief forderten sie im April eine Sanierung in einem vernünftigen Kostenrahmen, die sich an den tatsächlichen Interessen der Camper:innen orientiert. 

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Fester Wohnsitz: Campingplätze, auf denen man das ganze Jahr über wohnen kann, werden in der Schweiz immer seltener. (Bild: Nick Wegmann)

Auf die Frage, wie Walter die Erfolgschancen seiner Gegenkampagne einschätzt, muss er erstmal überlegen. Schliesslich antwortet er: «Je nach Tagesstimmung», und grinst dabei etwas verlegen. Mit dem Entscheid des Stadtparlaments wird die IG nun das Referendum ergreifen. So kommt der Entscheid vors Volk.

Wenn Walter über die Bestrebungen der IG reflektiert, merkt man, dass es ihm dabei um mehr als seinen Wohnplatz geht. Das Camping am Schützenweiher ist eine Institution, die es am Leben zu erhalten gilt. Beim Rundgang auf dem Platz schwelgt Walter in Erinnerungen. Während der Afropfingsten sei sein kleines Paradies jeweils bis auf den letzten Platz besetzt. Da werde auch mal bis drei Uhr nachts ausgelassen gefeiert, getanzt und getrommelt. So etwas kann man sich auf einem TCS Campingplatz nur schwer vorstellen. Das enge Zusammenleben in dieser Form bedarf vor allem viel Augenmass, Toleranz und Menschlichkeit. Mit dem TCS als neuem Pächter würde davon wohl einiges wegfallen.

Auf die Frage, was Walter tun würde, müsste er gehen müsste, reagiert er unschlüssig. «Dann setze ich mich auf meine Harley und fahre Richtung Westen», sagt er lachend. Doch nach einer kurzen Pause wird sein Blick ernster. «Was ich dann mache, entscheide ich, wenn es so weit ist.» Momentan will er sich voll dafür engagieren, bleiben zu können. Eine Option im Falle eines Scheiterns wäre, mit seinem Camper durch Europa zu reisen. Aber auch dafür braucht man einen festen Wohnsitz. Auch in dieser Hinsicht hält Walter an seinen Prinzipien fest: «Den würde dann aber sicher nicht Winterthur kriegen, da zahle ich meine Steuern lieber woanders.»

Nick Wegmann studiert Cast / Audiovisual Media an der ZHdK. Wenn er gerade nicht hinter einer Kamera steht, findet man ihn oft an Konzerten aller Art, oder bei der Arbeit in einer Gelateria und einem betreuten Wohnen.

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