Wie kleine Bäckereien ums Überleben kämpfen

Sie backen seit Jahrzehnten und geraten heute zunehmend ins Abseits. Auch in Winterthur zeigt sich, warum es kleine Bäckereien schwer haben, was ihnen dennoch Hoffnung gibt und wie ihr Tag beginnt, lange bevor die Stadt erwacht.

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Kneten, formen, backen: Hochbetrieb in der Backstube. (Bild: Marit Langschwager)

René Meili knallt den Teig mit einem kräftigen Schwung auf den Metalltisch. Die Oberfläche staubt vom Mehl, seine Hände sind weiss gepudert. Routiniert teilt er den Teig in gleich grosse Stücke und formt kleine Kugeln. «Mit dem Nachwuchs sieht es schlecht aus», sagt er, ohne den Blick von der Arbeit zu heben. «Die Nachtarbeit, die körperliche Belastung – das schreckt viele ab.» Während er spricht, zieht er gelbbraun gebackene Brote aus dem Ofen. Es ist noch früh am Morgen. Seit zwei Uhr steht Meili in der Backstube des Grabe Beck.

Der 53-Jährige hat vor über 35 Jahren seine Lehre als Bäcker gemacht, seit April 2024 ist er wieder zurück im Traditionsbetrieb am Oberen Graben 34. Hier produziert er täglich Brote, Gipfeli, Pizzen, Kuchen – alles frisch, alles für den eigenen Laden. Bis zu 1000 Gipfeli entstehen jede Woche, gemeinsam mit einem Kollegen. «Das Brot gibt die Zeit vor», sagt er. Jeder Arbeitsschritt ist genau getaktet, anders wäre der Alltag in der kleinen Bäckerei kaum zu stemmen.

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Auch wenn manchmal das Sozialleben leidet, hat René Meili jeden Tag Spass an seinem Job. (Bild: Marit Langschwager)

Doch die klassischen Bäckereien verschwinden. Seit dem Jahr 2000 hat sich ihre Zahl in der Schweiz laut SRF fast halbiert. Der Branchenverband Schweizer Bäcker-Confiseure (SBC) zählte einst 2500 Mitgliedsbetriebe – heute sind es nur noch etwas mehr als 1200. Statistisch gesehen hat in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten fast wöchentlich eine Bäckerei geschlossen. Die Gründe dafür sind vielfältig: steigende Kosten, fehlende Fachkräfte, schlechte Standorte. Auch Grabe-Beck-Inhaber Shemshedin Veliji kennt diese Herausforderungen. «Wir haben in der Stadt eine gute Lage und sind gut gefragt», sagt er. «Aber viele kleine Bäckereien ausserhalb kämpfen ums Überleben.» Das Bäckereigeschäft am Oberen Graben ist ein traditionsreicher Ort, an dem Back- und Konditoreiwaren angeboten werden. Im April letzten Jahres hat Veliji den Traditionsbetrieb übernommen. Doch der Konkurrenzdruck sei auch in Winterthur spürbar, betont der 30-Jährige. Hinzu kommt der wachsende Markt für Aufbackware aus importierten Fertigteigen. Laut dem Verein Schweizer Brot hat sich deren Import in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht, heute liegt er bei rund 155'000 Tonnen pro Jahr.

Helfen könnte den Bäckereien die Deklarationspflicht, welche der Bund eingeführt hat. Alle Verkaufsstellen – darunter auch Restaurants und Hotels – müssen klar angeben, aus welchem Land die Produkte stammen. Die Bäckereien hoffen, dass die Leute dadurch vermehrt wieder lokale Produkte kaufen anstatt ausländische Aufbackware. «Die kleinen Bäckereien müssen sich immer mehr anstrengen, weil die Qualität auch bei den Grosskonzernen immer besser wird», erklärt Bäcker Meili. Während Grossfirmen über andere finanzielle Mittel verfügten, stiegen bei kleinen Firmen die Produktionskosten und die Preise für Rohstoffe.

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«Viele Leute schätzen unsere Qualität und solange es Menschen gibt, wird auch gegessen.»

Shemshedin Veliji, Inhaber De Grabe Beck

Trotzdem bleibt Meili überzeugt, dass der Beruf Zukunft hat. «Natürlich verändert sich alles. Aber der Beruf wird nicht aussterben, denn es kann nie alles von einer Maschine übernommen werden.» Auch der Ladenbesitzer bleibt hoffnungsvoll. Er wolle sogar eine neue Filiale in der Stadt eröffnen, wenn sich eine passende Lokalität finden lässt. «Viele Leute schätzen unsere Qualität und solange es Menschen gibt, wird auch gegessen», sagt er. Doch er wolle zwingend in der Stadt bleiben, eine Filiale ausserhalb sei zu risikobehaftet. «Es hört da auf, wo deine Fantasie aufhört. Man muss sich immer den Herausforderungen stellen», sagt Meili bestimmend. Dann dreht er sich um, greift zur nächsten Teigschüssel und macht einfach weiter.

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Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitet als Redaktorin im SRF Newsroom und war unter anderem bei der NZZ. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.

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