Wer vertritt die Stadt?
Wieso sind Personen mit Migrationshintergrund im Stadtparlament von Winterthur nicht vertreten? Liegt es an den Parteien, oder sind diese Gruppen nicht interessiert? Diese spannenden Fragen hat uns ein Leser gesendet. Wir haben versucht, ihnen auf die Spur zu kommen.
In Winterthur haben laut Zahlen der Stadt 42.5 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Damit liegt Winterthur leicht über dem Schweizer Durchschnitt. Laut Bundesamt für Statistik haben 40.4 Prozent der Bevölkerung einen migrantischen Hintergrund. Dazu zählen alle Personen, die im Ausland geboren wurden und die Schweizer Staatsbürgerschaft im Nachhinein beantragt haben, sowie deren Kinder.
Wenn man davon ausgeht, dass ein Parlament die Gesellschaft abbildet, müssten also 24 von 60 Personen im Stadtparlament einen Migrationshintergrund haben. Damit man gewählt werden kann, ist die Staatsbürgerschaft nötig. Diese besitzen etwa drei Viertel der Winterthurer:innen.
Um herauszufinden, wie migrantische Gruppen im Parlament vertreten sind, hat WNTI eine Umfrage an die 60 Winterthurer Stadtparlamentarier:innen gesendet. 38 haben sie ausgefüllt. Die Dunkelziffer ist mit 22 Personen also recht hoch. Es zeigt sich: Neun Personen von den befragten Parlamentarier:innen im Stadtparlament haben einen Migrationshintergrund. Von allen Parlamentarier:innen, die die Umfrage ausgefüllt haben, sind das etwas weniger als ein Viertel. Auf 60 Personen gerechnet, würden die neun Personen noch 15 Prozent ausmachen.
An diesem unteren Rand liegen auch National- und Ständerat. In der Legislatur von 2019 bis 2023 hatten 16 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund, wie eine Statistik von Repchance.ch zeigt. Repchance.ch ist eine Studie der Universität Neuchâtel, welche die Bedingungen für politischen Erfolg in der Schweiz beurteilte. Das Forschungsprojekt fasst zusammen: «Aus demografischer Sicht sind Schweizer Politiker:innen mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert, ihre Ansichten erhalten in der Politik wenig Gewicht.»
An den Parteien liegt es laut den Winterthurer Stadtparlamentarier:innen nicht. Sie schätzen ihre Partei als unterstützend ein beim Fördern von Personen mit Migrationshintergrund, wie die WNTI-Umfrage zeigt. Marc Wäckerlin (SVP) schreibt: «Wir beurteilen Menschen nach Leistung und Eignung, nicht nach sexistischen oder rassistischen Kriterien. Das heisst, es haben alle die gleichen Chancen.» Daniela Roth Natter (EVP) schreibt, oft würden interessierte Personen mit Migrationshintergrund auch übersehen oder übergangen werden, oder aber einfach als populäre «Aushängeschilder» eingesetzt werden.
Was Daniela Roth Natter anspricht, muss ernst genommen werden. Rund 1’700 Personen unterzeichneten Ende Juni einen offenen Brief an die linken Parteien der Schweiz. Auslöser war die Kandidatur von Mandy Abou Shoak fürs Zürcher Stadtpräsidium. Ihr Wahlkampf endete bereits früh in der eigenen Partei. Die Delegierten der SP nahmen sie nicht auf das Viererticket für den Stadtrat. Die Unterzeichnenden kritisieren die Parteien: «Wir sind für euch gut genug, um die Wahl-Listen bunter zu machen, aber wenn es um echte Entscheidungsmacht geht, bleibt der Zugang verwehrt.»
Laut Studie der Universität Neuchâtel ist klar: Die Politiker:innen mit Migrationshintergrund teilen das gleiche Interesse, etwas zu verändern, wie jene ohne Wurzeln im Ausland. Die Stadtparlamentarier:innen André Zuraikat (Mitte) und Cristina Mancuso Cabello (FDP) schreiben aber, dass es Personen mit Migrationshintergrund an einem Interesse fehlen würde oder dass sie sich zu wenig zutrauen. «Wir müssten in den Parteien aktiv versuchen, Menschen mit Migrationshintergrund einzubinden, das passiert nicht einfach so,» schreibt Livia Merz (SP). Dass das Amt im Stadtparlament nur sehr tief entschädigt werde, helfe sicher nicht.
Die Schweiz ist schon lange ein Einwanderungsland – so wie Winti eine Einwanderungsstadt ist. Entsprechend wichtig sei es, dass alle Bewohner die Möglichkeiten haben, sich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen, heisst es im Vorwort der Studie. Wo es Barrieren und Hindernisse gebe, müsse man diese abbauen, um Chancengleichheit gezielt zu stärken. Diese Ziele würden sich aber nur erreichen lassen, wenn alle gemeinsam zusammenarbeiten.
Er studiert Kommunikation und Medien an der ZHAW und sammelt bei WNTI zwei Monate Arbeitserfahrung. «Um herauszufinden, wie es um den Journalismus wirklich steht», sagt er. Hoffentlich können wir ihm zeigen, dass es der Branche besser geht, als ihr nachgesagt wird.