Sammelkarten erobern Winterthur
Sammelkartenspiele wie «Pokémon» oder «Magic: The Gathering» erleben derzeit einen regelrechten Boom. Auch in Winterthur ist der Trend angekommen – im Gleis 9 ¾ trifft sich die wachsende Community, um Karten zu tauschen, zu spielen und Strategien zu entwickeln.
Sammelkartenspiele, sogenannte Trading Card Games (TCG), erleben gerade einen schweizweiten Boom. Klassiker wie «Yu-Gi-Oh!», «Pokémon» oder «Magic: The Gathering» sind vielen noch ein Begriff. Neuere Titel wie «Flesh and Blood» sagen hingegen nur Eingeweihten etwas – dabei sind sie längst feste Grössen in der Szene.
Ein guter Ort, um in diese Welt einzutauchen, liegt direkt am Bahnhof Winterthur: das Gleis 9 ¾. Von aussen wirkt das Brettspielcafé mit seinen leicht verstaubten Schaufenstern eher unscheinbar. Innen stapeln sich Spiele und Sammelkarten in den Regalen und im Raum verteilt stehen Holztische. An einem davon sitzen vier Männer – sie treffen sich regelmässig mit einem Dutzend weiterer Spielenden, um gemeinsam Karten zu legen und an ihren Strategien zu feilen.
«Wer nicht täglich spielt, hat aber kaum eine Chance.»
Maurice, TCG-Spieler
Das Angebot wächst rasant. Neue Spiele wie «Disney Lorcana» oder «Star Wars: Unlimited» setzen auf bekannte Figuren – mit Erfolg. Solche bekannten Marken würden den Zugang deutlich einfacher gestalten, sagt Alexander Deiss. «Es bereitet Freude, wenn man eine Figur aus der Kindheit wie zum Beispiel Donald Duck legen kann.» Alexander ist der Inhaber des Gleis 9 ¾, dem einzigen Laden in Winterthur, der sich auf TCG spezialisiert hat.
«Es braucht eine gute Strategie, Glück allein reicht nicht», erklärt Maurice, einer der Spieler am Tisch. Ein Freund aus dem Zivildienst brachte ihn damals auf den Geschmack und es habe ihn direkt hineingezogen. Kürzlich war er mit zwei Mitspielern an einem grossen Turnier in London, bei dem es ein Preisgeld von 50'000 Dollar zu gewinnen gab. «Wer nicht täglich spielt, hat aber kaum eine Chance», sagt Maurice. Im Gleis 9 ¾ gehe es vor allem um den Spass am Spiel und um das Trainieren.
TCG kann man sich vorstellen wie Schach mit Karten. Mit dem kleinen Unterschied, dass es viel mehr Figuren gibt und man sich diese selbst aneignet. Die Spiele haben tausende von Charakteren mit spezifischen Eigenschaften, aus denen man sich das eigene Team zusammenstellt und mit diesem das Spiel antritt. Im Vorteil ist, wer die Karten kennt und weiss, welche Funktionen sie haben.
Dass grosse Verlage wie Ravensburger nun in den Markt der TCG einsteigen, zeigt, wie sehr die Spielart im Trend ist. Alex habe an den Spielmessen mitgekriegt, dass Ravensburger grosse Summen in das Bewerben von «Disney Lorcana» steckte. Für Alex erfreulich, weil die neuen Spielkarten eine andere Zielgruppe ansprechen und neue Menschen in sein Geschäft bringen.
«Im Ausland habe ich mich schnell in der Gemeinschaft der TCG-Spielenden wiedergefunden.»
Alexander Deiss, Inhaber Gleis 9 ¾
Im Gleis 9 ¾ legt einer der Spieler eine schimmernde Karte auf den Tisch, eingepackt in eine durchsichtige Hülle. «Die kostet 600 Franken», sagt er. Ikonische Karten können Sammlerwerte von mehreren tausend Franken erreichen und werden in Internetforen längst als Anlageobjekte gehandelt.
Auf einen zweiten Blick merkt man schnell, dass Sammelkartenspiele ein vielschichtiges Hobby sind. Neben Spielen und Sammeln geht es um eine Gemeinschaft, die weltweit verbindet. Alexander sagt, «Im Ausland habe ich mich schnell in der Gemeinschaft der TCG-Spielenden wiedergefunden.» Denn wer die Regeln kennt, könne überall mitspielen.
Fast wäre Nina ausgewandert und würde heute vermutlich in einer Londoner Szene-Bar Cocktails mischen. Zum Glück machte ihr die Pandemie einen Strich durch die Rechnung – den sie schlussendlich nie bereute. Sie hat ein Praktikum bei tsüri hinter sich und bald auch das Journalismus-Studium an der ZHAW.
In sentimentalen Momenten sagt sie: «Winterthur ist der erste Ort, an dem ich mich richtig zuhause fühle.» Vermutlich ist es dieses Gefühl, das sie zu einer Lokaljournalistin durch und durch macht.