«Oises Openair» - Wieso organisiert man heute noch ein Musikfestival?
Sommer ‒ das ist Festivalsaison, zumindest historisch. Dass es gerade kleinere Festivals immer schwerer haben, ist kein Geheimnis. Der Tagesanzeiger schrieb vor einem Monat gar vom «grossen Festivalsterben». Gegensteuer kommt von einer Winterthurer Freundesgruppe.
Trotzdem gibt es Leute, die auf die widrigen Umstände pfeifen und ein Festival auf die Beine stellen - auch in Winterthur. Das «Oises Openair» findet dieses Jahr zum dritten Mal statt. Fast alle Mitglieder des OKs wohnen in Winterthur, trotzdem findet das Festival nicht in der Stadt, sondern in Rheinau statt. Doch das hat seinen Grund.
Das «Oises Openair» findet dieses Jahr zum ersten Mal in Rheinau statt. Die letzten zwei Ausgaben fanden unter dem Namen «Openair Ursenbach» im gleichnamigen Berner Dorf statt. Entstanden ist es aus einem «Inside-Joke» einer Freundesgruppe. «Seit wir 13 Jahre alt waren, gehen wir jedes Jahr in Ursenbach campen», sagt Lynn vom «Oises Openair» OK. Über die Jahre sei die Gruppe immer grösser geworden, 2021 seien es etwa 30 Personen gewesen. «Wir haben dann als Scherz einen Instagram Account gemacht und ihn ‘Openair Ursenbach’ genannt». Der «Scherz» habe dann darin gegipfelt, dass jemand der Gruppe mit einem Traktor Lautsprecher und ein Mikrofon angefahren habe. Das folgende Spontankonzert endete in einer Lärmbeschwerde. Die hatte allerdings eine motivierende Wirkung. «Wir haben uns dann gesagt, na gut, dann melden wir das Open Air nächstes Jahr halt offiziell an.»
«Oises Openair»Zehn Leute aus der Freundesgruppe haben sich dann zum OK zusammengeschlossen. Davon sei niemand aus der Event-Branche, sagt Lynn. Von der Kommunikation mit der Gemeinde und der Polizei bis zur Beschaffung der Infrastruktur, sei alles komplettes Neuland gewesen «Wir hatten keine Ahnung, was wir tun, aber wir haben’s herausgefunden». Der grösste Aufwand entstand allerdings durch die Finanzierung - das habe sich auch nicht geändert. Die Kosten für die erste offizielle Ausgabe des Festivals beliefen sich auf etwa 30’000 Franken, seither seien sie nur gestiegen. «Wir sind nicht wohlhabend, die meisten von uns studieren noch», sagt Lynn.
Ein Teil des Geldes käme von Sponsor:innen wie Migros Kulturprozent, das sei allerdings ein Tropfen auf dem heissen Stein. Um den Rest zusammenzubekommen, organisiert das OK diverse Events, wie Partys, ein Flohmarktstand auf der Steinberggasse und einen Sponsoren:innenlauf. Wenn das alles nicht reicht, trage das OK die übrigen Kosten solidarisch - bei der zweiten Ausgabe seien am Schluss noch 1000 Franken pro Person angefallen.
«Beim ersten Mal hatten wir keine Ahnung, was wir tun, aber wir haben’s herausgfunden.»
Lynn, OK-Mitglied des Oises Openair
«Es ist wein Herzesding, man spürt die Liebe, die drinsteckt», sagt Lynn. «Auch bei unserer Community.» Etwa 50 Helfer:innen würden jedes Jahr das Open Air beim Auf- und Abbau sowie beim Betrieb unterstützen. Vergütet werde das mit einem Ticket. Aber auch beim Publikum sei diese «Liebe» zu spüren gewesen. Denn die meisten Besucher:innen seien aus Winterthur und Zürich gekommen - knapp eineinhalb Stunden Fahrt. Das sei der Hauptgrund gewesen, das Festival an einem neuen Standort weiterzuführen. «Wir wollten näher zu unserem Publikum und zu unseren Helfer:innen». Das Festival in Winterthur zu machen, sei aber keine Option gewesen.
«Uns liegt das Campen mega am Herz», sagt Lynn. Nicht nur wegen der Entstehungsgeschichten, die Möglichkeit campen zu können, gehöre bei einem Festival einfach dazu. «In und um Winti haben wir leider keinen Standort gefunden, wo das möglich war», sagt Lynn. Da die Hälfte des OKs ursprünglich aus dem Weinland ist, hätten sie deshalb dort nach einem neuen Standort gesucht. Gefunden haben sie ihn auf dem Hof des Gut Rheinau. Auch bei diesem Standortwechsel habe sich gezeigt, dass ein solches Festival nur mit bereitwilliger Unterstützung möglich sei. «Wir hatten Glück und ein bisschen Vitamin B».
Der neue Ort bringe aber auch neue Herausforderungen mit sich. So sei die Beschaffung von Bewilligungen und Infrastruktur im Kanton Zürich bedeutend teurer und aufwändiger als im Kanton Bern. Zudem seien die Ausgaben dieses Jahr noch höher, da grosser Wert auf Nachhaltigkeit gelegt werde. Faire Gagen für die Künstler:innen, regionale Produkte und Mehrweggeschirr - all das gehe ins Geld. Wer mit dem Velo ans Festival kommt, erhalte sogar einen Rabatt auf das Ticket.
«Finanziell macht das keinen Sinn», sagt Lynn. Aber darum gehe es auch nicht. «Unser Ziel ist ein tolles Festival auf die Beine zu stellen, wo Gender, Alter und Herkunft keine Rolle spielen.» Dieser Diversitätsanspruch ist auch ins Line-up eingeflossen. Hip-Hop, Jazz, Techno und mehr, die vertretenen Genres sind so divers wie das Publikum, dass sie anziehen sollen. Wenn auch nicht finanziell, der ganze Aufwand lohne sich. «Ja, wir investieren viel Zeit und Geld. Aber wenn ich dann am Samstag am Morgen zerknittert aus dem Zelt krieche und mit meinen Freunden über die Nacht lache - das ist Festivalromantik.»
Das «Oises Openair» findet vom 31. Juli - 3. August in Rheinau ZH statt. Tickets gibt’s hier.
Seba studiert in Winti Journalismus, weiss wie man ein Bier zapft, verbringt seine Wochenenden gerne auf der Schützi und kennt in Winti allerhand spannende Figuren. Seba ist ein Urwinterthurer, aufgewachsen ist er in Veltheim. Nur eines fehlt ihm für den Winti-Ritterschlag: Geboren ist er im Triemli in Zürich.