«Die Denkmalpflege ist eigentlich ein Pflegeberuf»
Vor 35 Jahren trat die erste Denkmalpflegerin in Winterthur ihre Stelle an. Dass es sich lohnt Häuser, Industrieareale und ganze Siedlungen zu bewahren, war damals noch keine Selbstverständlichkeit. In Winterthur kam der Widerstand gegen Abrisse und Aushöhlungen von Altstadthäusern aus der Bevölkerung. Konstanze Domhardt, Leiterin der Denkmalpflege in Winterthur erzählt, weshalb Denkmalpfleger:innen keine Verhinderer sind und warum bei Häusern nicht nur die Fassade zählt.
Der Denkmalschutz feiert in diesen Tagen ein grosses Jubiläum: vor 50 Jahren fand erstmals das Europäische Denkmalschutzjahr statt. In Winterthur dauerte es noch etwas länger, bis das Thema Denkmalschutz ins Bewusstsein trat, aber auch hier gibt es ein Jubiläum. Vor 35 Jahren trat Frederike Mehlau ihre Stelle als Denkmalpflegerin bei der Stadt Winterthur an. «Der Stadtrat gab zunächst nur 50 Prozent der Stelle frei. Er war noch nicht ganz davon überzeugt, ob er wirklich eine institutionalisierte Denkmalpflege haben wollte», erzählt Frederike Mehlau schmunzelnd. Die beiden Jubiläen werden in diesen Tagen mit verschiedensten Veranstaltungen begangen – im Rahmen der jährlich stattfindenden Europäischen Tagen des Denkmals. Teil davon ist eine Plakatausstellung auf dem Kirchplatz, die uns auf eine Reise in die Vergangenheit mitnimmt.
Bis in die 1990er Jahre habe sich die Stadt nur um ihre Leuchtturmbauten wie beispielsweise die Stadtkirche gekümmert, erzählt Frederike Mehlau.
«Als ich die Stelle antrat, wurde unter Denkmalpflege nur ein Fassadenerhalt verstanden. Gegen die Aushöhlung der Altstadt vorzugehen, war für mich deshalb ein wichtiges Thema.»
Frederike Mehlau, erste Denkmalpflegerin in Winterthur
Das Abreissen und Aushöhlen der Altstadt war der Anlass zur Gründung des Winterthurer Heimatschutz in den 1970er Jahren. Heute ist ein Drittel unserer Altstadt entkernt, das heisst man hat hinter den Fassaden alles rausgerissen und neu gestaltet. Neben der Altstadt interessierte in den 1990er Jahren auch die Umgestaltung der frisch verlassenen Areale von Sulzer und SLM. Das sei eine Pionieraufgabe gewesen – Überlegungen zum Erhalt ganzer Industrieareale waren ein internationales Novum. «Sulzer wollte nur ihren Gründerbau schützen, den Rest hätten sie abgerissen», erzählt Mehlau. Sie habe damals harte Auseinandersetzungen gefochten mit der Firma Sulzer, der Stadt und dem Kanton. Denn es habe wenig Verständnis gegeben für den Erhalt der Hallen.
Die Kämpfe haben sich gelohnt. Heute ist die Denkmalpflege in Winterthur stolz auf die gut erhaltenen Industrieareale, gerade wenn man sich mit Zürich vergleiche: «In Zürich gab es über Jahrzehnte mehr Geld, was für die Erhaltung von Industriearealen kein Vorteil war, denn es wurde häufig rücksichtslos abgebrochen», erklärt Konstanze Domhardt, die seit sieben Jahren die Denkmalpflege in Winterthur leitet. Heute liegt der Fokus der Denkmalpflege auch auf Quartieren und Siedlungen in unserer Stadt.
Häufig geht es darum, Hausbesitzende bei Sanierungen zu beraten. «Je früher wir in einem Bauprozess eingebunden werden, desto besser. So findet man zusammen die besten Lösungen.» Es sei sehr selten, dass die Denkmalpflege etwas verbieten muss: «Denkmalpflege ist nicht schwarz und weiss, sondern hat Schattierungen», sagt Domhardt. Wenn jemand beispielsweise einen Lift einbauen will, und Haus und Räume geschützt sind, so gäbe es immer Möglichkeiten dafür. Der Lift komme dann vielleicht an die Rückseite des Hauses. Die Denkmalpflege verhandelt aber nicht nur mit Hausbesitzenden, sondern auch mit dem Brandschutz, Architekt:innen und Jurist:innen. «Bei komplexeren Fragestellungen sitzen alle zusammen an einem Runden Tisch, diesen Teamgeist müssen wir uns unbedingt bewahren», wünscht sich Domhardt. Sowieso müsse man Menschen gerne haben:
«Eigentlich ist Denkmalpflege ein Pflegeberuf, man pflegt Menschen mit ihren Häusern.»
Konstanze Domhardt, Leiterin Denkmalpflege Winterthur
Zukünftige Herausforderungen sieht Domhardt einige auf Winterthur zukommen: «Aus Zürich her kommt eine Abrisswelle auf uns zu. Da müssen wir draufschauen.» Zudem seien andere Städte bereits daran, Gebäude aus den 1980er Jahren in die Schutzlisten aufzunehmen. In Winterthur ist bis heute einzig das ZKB-Gebäude am Untertor aus dem Jahr 1981 unter Schutz. Viele weitere bislang unentdeckte Perlen warten aber noch darauf geschützt zu werden.
Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.