Ein Schoggikuchen für ein Ämtli
Aus dem Traum des Mehrgenerationenhauses Giesserei ist Wirklichkeit geworden. Jetzt gibt es das Buch zum Bullerbü-Märchen.
Am Freitag erscheint das Buch «Vom Traum zur Wirklichkeit» von Kurt Lampart. Aus der Idee vom Bildband zum zehnten Jubiläum ist eine Dokumentation entstanden über die Geschichte der grössten selbstverwalteten Siedlung der Schweiz, der Giesserei in Neuhegi. Auf 240 Seiten erzählen verschiedene Menschen deren Entstehungsgeschichte und wie die GESEWO-Siedlung funktioniert.
Bei einer Informationsveranstaltung zum Projekt MGH (Mehrgenerationenhaus) Giesserei fing der Sozialarbeiter Feuer, Kurz darauf traten er und seine Frau dem Verein bei. Er schloss sich der Arbeitsgruppe «Planung» an. Seit 2013 wohnt das Paar zusammen mit mehr als 330 Bewohner:innen in dem sechsstöckigen Holzbau, teilt Garten und Ämtli, Freud und Leid – kurz: Leben. Ziel der Siedlung sei es immer gewesen, den Austausch zwischen den Generationen, die in der Gesellschaft vertreten sind, zu fördern. Eine Altersdurchmischung war daher das wichtigste Kriterium.
Lampart ist nach wie vor von der Wohnform überzeugt. Was er besonders schön finde: Wenn Menschen unterschiedlichen Alters gemeinsame Interessen entdeckten und auslebten, oder wenn aus Nachbarschaft Freundschaft entstehe. «Dafür braucht es nicht nur die Wohnungen und die Menschen, sondern auch Begegnungsräume.» Diese sind reichlich vorhanden in der Siedlung.
«Eine solche Nachbarschaft habe ich noch nie erlebt»
Bewohnerin der Giesserei
Auch ein Dutzend Gewerbebetriebe gehören zur Giesserei. Die Arbeitsgruppe Struktur war dafür zuständig, Regeln und Grundlagen für das Zusammenleben im Selbstverwaltungsalltag des MGH auszudüfteln, dies auch im Austausch mit anderen Genossenschaften. Wie sieht es mit Haustieren aus? Machen wir eine Zeittauschbörse? Was ist mit den Velos? Und wie passen wir den Mietzins an Lage und Stockwerk an? Für solche Fragen hätten sie nicht nach perfekten, sondern nach pragmatischen Lösungen gesucht, erzählt Hannes Aeppli, Leiter der Strukturgruppe, im Interview. Nebst dem grossen Ganzen gibt es die Hausgemeinschaften. Jedes der acht Treppenhäuser wird von den Bewohnenden selbst organisiert, man trifft sich regelmässig zu hausinternen Zusammenkünften oder auf Balkonien. Die Veranden wurden bewusst offen gestaltet, Trennwände gibt es nicht zwischen allen Wohnungen.
Wo viele Menschen nah beieinander wohnen, gibt es auch Konflikte. Von einem solchen erzählt eine Bewohnerin auf Seite 188. Im Sommer 2013 wurde der Spielplatzbau pausiert und ein Schlichtungsverfahren eingeleitet, nachdem sich Parteien über den bereits geplanten Bau zerstritten hatten. Wichtig sei, dass man aus solchen Geschichten lerne, findet Lampart. Besagte führte dazu, dass es heute zu komplexen Themen Vernehmlassungsverfahren gibt und man vor einer finalen Abstimmung das Gespräch sucht. So wurde beispielsweise das Stimm- und Wahlrecht auf 12 Jahre heruntergesetzt, nachdem Jugendliche den Wunsch nach einem eigenen Jugendraum geäussert hatten. Seither haben sie Mitspracherecht.
Bewohnende ab 18 Jahren verpflichten sich für 30 Arbeitsstunden pro Jahr. Zu den Ämtli gehören beispielsweise Unterhalt und Reinigung, die Vermietung und Bewirtschaftung von Saal und Gemeinschaftsraum oder Vorstandsarbeit. Kurt Lampart leitete lange das Ressort Führungen. Momentan sei er auf dem siedlungsinternen RAV, sagt er lachend. Wer aus gesundheitlichen Gründen passen muss, kann eine Dispensation beantragen und bezahlt eine bescheidene Grundtaxe. Es sei auch legitim, mal eine geleistete Stunde gegen einen Schoggikuchen zu tauschen, verrät Lampart.
«Fast wie in Bullerbü» – so lautet die Überschrift eines Kapitels. Eine gebürtige Dänin schreibt darin, sie habe in der Giesserei etwas gefunden, das sie in der Schweiz bis dahin vermisst hätte: Offenheit. Hier in der dörflichen Siedlung fühle sie sich das erste Mal richtig daheim. Auch eine alleinerziehende Mutter schwärmt: «Eine solche Nachbarschaft habe ich noch nie erlebt.»
Jonglieren kann Maria eigentlich nicht. Wir finden aber schon. Denn sie schreibt für WNTI, organisiert den Alltag ihrer drei Söhne und musiziert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen machte sie beim Mamablog des Tages-Anzeigers und als freie Texterin. Heute findet sie ihre Geschichten in all den Menschen, die sie in den 20 Jahren, in denen sie in der Stadt wohnt, kennen und schätzen gelernt hat.