Nach den Ferien ist vor dem Lehranfang
Während einige noch fern von Winti irgendwo die Meeresbrise mit der Nase einfangen oder ihre Wanderschuhe schnüren, treten andere ihre Lehrstelle an. So auch Elise und Noemi aus Winterthur. Erstere wird Floristin, zweitere Anlagen- und Apparatebauerin – eine Ausnahme, denn der Frauenanteil in technischen Berufen ist nach wie vor tief.
Elise aus dem Neuwiesen-Quartier beginnt in einer Woche ihre Lehre als Floristin beim Hauenstein Gartencenter in Rafz. Nach ihrem Abschluss 2024 im Schulhaus St. Georgen hängte sie ein Sprachjahr in Lausanne an. «Ich war als Konditorin und in Kitas schnuppern. Es hat sich aber nichts Passendes ergeben. Als ich die FMS-Prüfung nicht bestand, entschied ich mich für das Zwischenjahr», so die 16-Jährige. Eine Kollegin fand, Floristin würde zu ihr passen. Die Lehrstellensuche von Lausanne aus war dann erfolgreich. Elise erzählt, dass es in der Sek zwar ein Schulfach für die Berufswahl gäbe, die Berufsfelder jedoch nur oberflächlich angekratzt würden. Man mache «mega viel für nüt», meint sie. «Mir hätte es geholfen, wenn wir in kleineren Gruppen die Berufe etwas genauer angeschaut hätten.» Die meiste Arbeit mache man jedoch sowieso zu Hause mit den Eltern.
«Es ist doch crazy: Mit 15 sehen dich alle noch als Kind und trotzdem wollen sie, dass du schon arbeiten gehst. Man muss doch mit 15 noch nicht ‹schaffe›.»
Elise, 16
Sich in so jungen Jahren für eine Richtung entscheiden zu müssen findet die Pfadfinderin einerseits stressig, aber «irgendwie auch cool». Man fange ja einfach mal an und könne später noch wechseln, sich weiterbilden oder gar studieren. Dass es neben dem Gymi wenig Möglichkeiten gebe, weiterhin in die Schule zu gehen, findet sie schade. Vor allem Sek B oder C-Abgänger:innen müssten fast eine Lehre machen. Sie fügt an: «Es ist doch crazy: Mit 15 sehen dich alle noch als Kind und trotzdem wollen sie, dass du schon arbeiten gehst. Man muss doch mit 15 noch nicht ‹schaffe›.»
Noemi (15) aus Hegi hat einen Beruf gewählt, der als «geschlechtsuntypisch» gilt. Das heisst, dass der Frauen- beziehungsweise Männeranteil unter 40 Prozent liegt. Sie macht ihre Lehre als Anlagen- und Apparatebauerin beim AZW (Bildungszentrum für technische Berufe) in Winterthur. Den Beruf lernte sie dort in einer Berufserkundung kennen. «Ich habe schon früh gewusst, dass ein Beruf am Schreibtisch oder mit viel Menschenkontakt nicht zu mir passt», so die Winterthurerin. Ausschlaggebend für die Betriebswahl seien die freundlichen Lernenden und Ausbildenden gewesen. Sie ist der Meinung, dass man zu früh einen Beruf wählen müsse. «Ich hatte Angst, mich für den falschen Beruf zu entscheiden.»
Laut Nils Conrad, Projektleiter Marketing/Events/Digitalisierung am AZW, ist der Frauenanteil in technischen Berufen nach wie vor tief. Das gelte insbesondere für die MEM-Branche (Maschinen- Elektro- und Metallindustrie). Gemäss Bundesamt für Statistik liegt der Frauenanteil bei Lernenden dort seit mehreren Jahren bei 11 %. Im AZW lägen sie seit einigen Jahren erfreulicherweise über diesem Wert, so Conrad. Man beobachte eine konstante Entwicklung, auch wenn der Frauenanteil in technischen Berufen insgesamt weiterhin deutlich hinter demjenigen in anderen Berufsfeldern zurückbleibe. Das AZW bietet spezifische Formate an, die sich gezielt an Frauen richten. So beispielsweise einen Podcast zu verschiedenen Ausbildungsthemen, der von einer eigenen Lernenden aus der Konstruktion moderiert wird. «Wir sehen immer wieder, wie stark das Berufswahlverhalten von Mädchen durch gesellschaftliche Rollenbilder und fehlende weibliche Vorbilder geprägt ist», so Conrad. Am 5. November 2025 und 11. März 2026 führen sie erstmals die Berufserkundung «von Frauen für Frauen» durch. Dabei erhalten interessierte Mädchen einen persönlichen, niederschwelligen Zugang zu technischen Berufen.
Auch andere Unternehmen und Programme sind bemüht, dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Tabellen des Bundesamts für Statistik ist beispielsweise zu entnehmen, dass im Jahr 2022 Frauen im Bereich Informatik 7.6 Prozent ausmachten. Im Gesundheitswesen waren es 88.8 Prozent. Laut der Medienstelle des KSW ist das Interesse bei männlichen Schulabgängern am Pflegeberuf in den letzten Jahren nicht deutlich gewachsen. Die männlichen Lernenden würden im Beruf Fachfrau/Fachmann Gesundheit 15 bis 20 Prozent ausmachen. Diesen Sommer beginnen sechs junge Männer ihre Lehre als Fachmann Gesundheit am KSW.
Im Programm «Seitenwechsel» bieten teilnehmende Betriebe explizit nur Jungs oder Mädchen Plätze für den nationalen Zukunftstag an. So nehmen ein Spital, ein Haarsalon und eine Kita beispielsweise Anmeldungen von Buben entgegen, die AMAG Autowelt und eine Spenglerei dafür nur die von Mädchen. Anmelden können sich Schüler:innen der fünften bis siebten Klasse am 24. Oktober über die Plattform.
So oder so, der Lehranfang ist ein Highlight und alle Befragten freuen sich vor allem auf eines – den Lohn. Elise ist mit ihren 750 Franken sehr zufrieden. Nebst allen Aus- und Abgaben könne sie sicher noch etwas zur Seite legen, meint sie. Sie spart auf einen Töff. Auch Noemi freut sich darauf, ihr eigenes Geld zu verdienen und nicht mehr abhängig zu sein von den Eltern. Sie verdient im ersten Lehrjahr 535 Franken im Monat.
Jonglieren kann Maria eigentlich nicht. Wir finden aber schon. Denn sie schreibt für WNTI, organisiert den Alltag ihrer drei Söhne und musiziert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen machte sie beim Mamablog des Tages-Anzeigers und als freie Texterin. Heute findet sie ihre Geschichten in all den Menschen, die sie in den 20 Jahren, in denen sie in der Stadt wohnt, kennen und schätzen gelernt hat.