Lange Reden über Bus und Bäche
Fische wohnen gern in revitalisierten Gewässern, Anwohnende an ruhigen Strassen und ein paar Menschen auch in umgebauten Bauwagen. Für Diskussionen sorgten gestern im Parlament alle drei Wohnformen.
Eigentlich spielt es doch keine Rolle: Steuern bleiben für mich als Privatperson einfach Steuern, egal wem ich sie entrichte.
Das mag stimmen ‒ für Steuerzahlende. Anders sieht es dort aus, wo das Geld wieder ausgegeben wird.
Wird eine Liegenschaft verkauft, entfällt die Abgabe auf den mit dem Verkauf erwirtschafteten Gewinn. Von dieser Grundstückgewinnsteuer profitieren bisher ausschliesslich die Gemeinden. Das möchte der Regierungsrat ändern ‒ konkret hat er es auf ein Viertel der Erträge abgesehen. Der Kanton argumentiert, er investiere viel in die Infrastruktur, was die Grundstückspreise treibe ‒ deshalb habe auch er ein Anrecht auf die Erträge. Ausserdem sei Zürich nebst Zug der einzige Kanton in der Schweiz, in dem die Grundstückgewinnsteuer nicht mindestens aufgeteilt werde.
Mit einer dringlichen Interpellation von Katja Hager (SP) und weiteren Unterzeichnenden wollte das Parlament einige Zahlen vom Stadtrat ‒ und vermutlich eine Diskussion. Finanzvorsteher Kaspar Bopp (SP) hätte direkt und mündlich antworten können, entschied sich aber für die schriftliche Version, die an der nächsten Sitzung Ende August verlesen wird. So lange wollen wir nicht warten. Die ersten beiden Antworten auf den Vorstoss liefern wir deshalb gleich hier in der Grafik:
(Ver-)Ordnung in den Fachstellen
Die Finanzkontrolle, die Ombuds- und die Datenschutzstelle sind keine normalen Verwaltungseinheiten, sondern sogenannte städtische Aufsichtsstellen. Sie kontrollieren die anderen Behörden ‒ und werden entsprechend nicht aus der Verwaltung heraus, sondern direkt vom Stadtparlament rekrutiert und beaufsichtigt. Über ihre Tätigkeit haben wir im letzten Parlamentsbrief berichtet.
Dennoch befinden sich die Personen in diesen Ämtern in einem Anstellungsverhältnis mit der Stadt ‒ und genau in diesem Spannungsfeld sei es in der Vergangenheit immer wieder zu Unklarheiten gekommen. Dies schreibt der Stadtrat in seinem Antrag ans Parlament. Worum es sich bei den «Unklarheiten» genau gehandelt hat, sagt er nicht. Eine neue, gemeinsame Personalverordnung für alle drei Stellen soll dem in Zukunft vorbeugen.
- Theoretisch ist das Stadtparlament Anstellungsinstanz. In der Praxis sind die 60 Personen, die etwa einmal im Monat zusammenkommen und nur kollektiv entscheiden können, aber keine guten Vorgesetzten. Denn Personalentscheide sind meist vertrauliche und dringende Angelegenheiten. Deshalb überträgt die neue Verordnung diese Aufgabe der Parlamentsleitung.
- Mit einer Zweidrittelmehrheit können die Parlamentsmitglieder die Leitungspersonen der Fachstellen neu abwählen.
- Nicht budgetierte oder längere Weiterbildungen müssen die Leitenden der Aufsichtsstellen neu eine Bewilligung einholen. Und wenn sie viele Überstunden machen, müssen sie die Parlamentsleitung darüber informieren.
Alle Änderungsanträge und die Verordnung selber wurden von den 53 anwesenden Parlamentarier:innen einstimmig angenommen.
Ziemlich kompakt
Postulate
Parlamentsmitglieder können dem Parlament ein Postulat einreichen. Wird es dem Stadtrat überwiesen, muss dieser Massnahmen zur Umsetzung in einem Bericht aufzeigen.
Mehr Platz für alternative Wohnräume: Bereits Anfang Mai haben wir über die illegale Besetzung beim Nägelsee berichtet und, dass in Winterthur die Stellplätze für das Leben im Wohnwagen fehlen. Genau in solchen Fällen würde das Postulat, das gestern im Parlament besprochen wurde. Laut Marilena Gnesa (SP), Selim Gfeller (SP) und Roman Hugentobler (Grüne/AL) würde eine solche Zone gesellschaftliche Innovation fördern und die Vielfalt des städtischen Wohnraums stärken. Das Postulat zur Schaffung einer Wohnzone für alternative Wohnformen will, dass der Stadtrat «prüft, wie auf Winterthurer Stadtgebiet eine Wohnzone für alternative Wohnformen geschaffen werden kann.» An der Parlamentssitzung führte die SP ihr Postulat ein, darauf ergriff Raphael Perroulaz (FDP) das Wort und stellte den Ablehnungsantrag. Es sei bereits eine Interpellation von FDP, EVP, AL und Grünen hängig. Alexander Würz (EVP) begründete: «Die EVP unterstützt grundlegend, aber will erst auf Antworten der Interpellation warten.» Ausserdem sei das Bauland in Winterthur knapp und eine alternative Zone würde noch mehr Druck auf das bereits teure Bauland machen, ergänzte Perroulaz. GLP, Mitte, SVP und auch die EVP unterstützten den Ablehnungsantrag. Stadträtin Christa Meier (SP) hatte das letzte Wort. «Zu grosse Hoffnungen machen würde ich mir nicht», sagte sie zur hängigen Interpellation in Richtung der EVP und FDP. Die Überweisung des Postulats an den Stadtrat wurde mit 22 zu 31 Stimmen abgelehnt.
- Wasserbau auf Kosten des Kantons: Juuhee! Ein Regierungsratsbeschluss will den Zugang zu Fliessgewässern fördern. Und das beste: Der Kanton zahlt. Verschiedene Gemeinden haben mit «#hallowasser» schon Projekte finanziert. Der Kanton zahlte jeweils bis zu 90 Prozent der Kosten. Ein zweites Projekt, ebenfalls üppig ausgestattet, soll die Biodiversität in und um Gewässer fördern. Auch Winterthur soll von diesen Geldern profitieren, fanden Benedikt Oeschger (GLP) und weitere Unterzeichnende. Sie reichten Anfang 2024 ein entsprechendes Postulat ein. Nun hat der Stadtrat seinen Bericht vorgelegt. Fazit: Das Tiefbauamt werde entsprechende Projekte vorlegen, es könnte aber dauern. Denn die Ressourcen im Amt seien knapp. Damit gab sich der Erstunterzeichnende nicht zufrieden. «Man möchte nichts umsetzen, ausser das, was sonst schon geplant ist», fasste Oeschger zusammen. Auch die Votanten der EVP und der FDP stützten diese Einschätzung. Einen Ergänzungsbericht, also eine Nacharbeit des Stadtrats, forderten sie aber nicht. Etwas mehr Wohlwollen zeigten SP, EVP und Mitte. Viele Fragen blieben offen, man anerkenne aber, dass die Handlungsspielräume offenbar klein seien. Schliesslich wurde das Postulat mit 38 zu 15 Stimmen positiv zur Kenntnis genommen und abgeschrieben.
Naturnetz für Winterthur: «Die Natur braucht Support», sagte Katharina Frei-Glowatz als Erstunterzeichnende. Darum wurde dem Stadtrat am 4. März das Postulat betreffend Naturnetz Winterthur und Umgebung überwiesen. Das Parlament beauftragte den Stadtrat damals mit der Prüfung der Gründung eines Naturnetzes. Als Vorbild wurde das Naturnetz Pfannenstiel genannt. Annetta Steiner (GLP), Alexander Würzer (EVP), Katharina Frei-Glowatz (Grüne) und Gabi Stritt (SP) sahen vor, dass ein solches Naturnetz mit der RWU «sowie weiteren Partnern» gegründet werden soll. Die RWU (Regionalplanung Winterthur und Umgebung) ist ein Zweckverband und hat zum Ziel, die Entwicklung der Landschaft zu planen und zu koordinieren. Ein Zweckverband ist ein Zusammenschluss von Gemeinden, zur Erfüllung von übergeordneten Zielen.
Der Stadtrat kam zum Schluss, dass ein Naturnetz Winterthur und Umgebung für die Biodiversitäts- und Landschaftsförderung «durchaus einen Mehrwert schaffen» könne. Der Stadtrat Stefan Fritschi (FDP) sagte im Parlament, dass man sich bei der Regionalplanung einsetzen werde, allerdings sei das Stadtparlament eigentlich die falsche Instanz. Schlussendlich müsse die Delegiertenversammlung der RWU darüber entscheiden. Das Stadtparlament nahm das Postulat geschlossen positiv zur Kenntnis. (mm)
Interpellationen Interpellationen sind ein Kontrollinstrument. Sie werden jedoch ‒ anders als blosse Anfragen ‒ nach Beantwortung durch den Stadtrat im Parlament diskutiert.
Eine Minute länger Busfahren: Frühestens mit dem Fahrplan 2026 soll auf der Breitestrasse Tempo 30 gelten. Dies beschloss der Stadtrat letztes Jahr in einer Verkehrsanordnung. Denn aktuell wird die Lärmgrenze bei mehr als zwei Dritteln der Liegenschaften überschritten, mit der Temporeduktion wären es immerhin nur noch 38 Prozent, so der Stadtrat. Nun wollten Andreas Geering (Mitte) und andere Unterzeichnende wissen, welche Auswirkungen das auf die Stadtbus-Linie 4 hat. Die Antwort des Stadtrats: Mehrkosten von 285’000 Franken pro Jahr, weil der Bus, der sonst nur in Hauptverkehrszeiten fährt, künftig permanent eingesetzt würde. Und eine verlängerte Fahrtzeit von unter einer Minute zwischen HB und Breite. Die Voten von bürgerlicher Seite richteten sich angesichts dieser unspektakulären Antwort eher generell gegen Tempo 30. Andreas Geering fand, wer an der Breitestrasse lebt und sich über Lärm beschwere, verhalte sich wie jemand, der neben eine Kirche zieht und sich dann über das Geläut aufregt. Christian Maier (FDP) setzte sich einmal mehr für einen Flüsterbelag und gegen die Temporeduktion ein. Es sei kein «entweder oder», sagte Bauvorsteherin Christa Meier (SP). Und Livia Merz (SP) brachte das Sicherheitsargument aufs Tableau: Die Vogelsang- und auch Breitestrasse seien schmal und Langsamverkehr deshalb sicherer.
Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.
Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.