Wer fliegt, sollte auch landen können
Stadttaube
Kurz tauche ich in den Judd-Brunnen ein. Der in der Mitte ist mein liebster. Das Zischen einer geöffneten Bierdose lässt mich innehalten. Vom Albani her höre ich eine Stimme, tief und zerrieben von Zigaretten-Rauch: «Studenten zahlen keine Steuern, es arbeitet ja niemand mehr.»
Während ich mein Federkleid in der Sonne trockne, sinniere ich dem Überhörten nach. Natürlich verschlägt es mich in die Campus-Areale von Winterthur – das Technikum, die Theaterstrasse oder der Katharina-Sulzer-Platz sind ergiebige Orte zum Picken. Die Studierenden lassen in ihrer Eile von Vorlesung zu Nebenjob gerne ein paar Gipfeli-Brösmeli zwischen den sich stapelnden Kaffeebechern zurück.
Die Tendenz, dass Studierende immer mehr Zeit dem Geldverdienen und weniger dem Studium widmen, ist seit 2005 zu beobachten. Laut dem Bundesamt für Statistik arbeiteten 2024 zwei Drittel der Studierenden in der Schweiz neben dem Studium, im Mindestpensum 40 Prozent.
Ich als Taube kann über die Gründe nur mutmassen, aber gerade beim Picken vor der Hochschulbibliothek vernehme ich oft Existenzängste und Geldsorgen. Sie schnippen die Asche von der Zigarette, stürzen den Restkaffee aus dem Einwegbecher hinunter und versuchen, einen Termin für die Projektarbeit zu finden:
«Am Montagabend?» – «Nein, da bin ich auf der Paketstation.»
«Dienstag? Mittwoch?» – «Ich habe Schicht im Kino.»
So geht es weiter. Und weiter.
Gleichzeitig biegen sie sich unter der Last eines Bachelors, der sie teilweise noch nicht einmal zu einem Beruf befähigt. Dafür braucht es dann schon den Master.
Vielleicht, liebe von Zigaretten zerriebene Stimme, liegt das Problem nicht darin, dass «niemand mehr arbeitet». Vielleicht liegt es an einem System, das immer mehr fordert und einer Gesellschaft, die Arbeit mit akademischem Papier höher bewertet als andere.
Aber ich bin nur eine Taube, die beim Insieme gerade Panini-Brösmeli zu Boden gehen sieht. Die Pflicht ruft.
Ob gurrend auf den Vordächern, im Brunnen vor dem Stadthaus badend oder Bretzel-Brösmeli-pickend am Bahnhof: Die Stadttaube ist überall dort, wo du bist. Und schnappt Schnipsel aus dem Stadtgemurmel auf. Hier teilt unsere Federfreundin ihre Gedanken dazu.