Besetzte Wiese als alternativer Wohnraum
Fast verloren stehen sie dort: Die Bauwagen auf einer grossen Wiese zwischen Autobahn, Bahnlinie und Töss. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, eine Reportage über die Bewohnenden zu schreiben, die sich seit Februar hier niedergelassen haben. «Wagenkollektiv Mumpitz» nennen sie sich. Bald musste ich aber feststellen, dass es schwierig ist, das Kollektiv zu erreichen. Wenn ich vorbeiging, war niemand da, und auch die Mails an die angegebene Email-Adresse kamen allesamt zurück.
So versuchte ich es oldschool – analog mit einem Briefchen, dass ich beim Eingangsgitter zur Wiese liess. Und hatte Erfolg. Das Grundstück gehört übrigens der Stadt Winterthur. Und diese ist nicht erfreut über den Neuzuzug. Aber dazu später mehr.
Ich werde freundlich empfangen und doch spüre ich ein wenig Misstrauen, vielleicht nicht direkt mir gegenüber, aber generell gegenüber Medien, Politiker:innen, Polizei und Behörden. Ich solle deshalb nicht schreiben, wie viele sie seien und schon gar nicht ihre Namen erwähnen.
«In fast jeder grösseren Stadt gibt es Plätze für alternative Wohnformen und Wagenplätze, die von den jeweiligen Städten geduldet werden. Winterthur als Kulturstadt sollte Platz haben dafür.»
Besetzer:in, Wagenkollektiv Mumpitz
Die Menschen des Kollektiv Mumpitz möchten selbstbestimmt leben. Naturnah, ohne hohe Miete und eingesperrt in Mietwohnungen, gemeinschaftlich und mit Gestaltungsfreiraum. Diese Bedingungen hätten sie hier vorgefunden, erzählen sie. Bereits ein Jahr, bevor sie nach Töss gekommen seien, hätten sie mit der Stadt Kontakt aufgenommen und nach einem Platz oder einer möglichen Zwischennutzung für ihre Wagen gefragt.
«Die Stadt zeigt sich nicht gesprächs- oder kompromissbereit. Sie findet, dass es für unsere Wohnform keinen Platz haben soll.»
Besetzer:in, Wagenkollektiv Mumpitz
Die Wiese liegt in einer Industriezone. Deshalb sei Wohnen dort nicht möglich. Egal in welcher Form, teilt der zuständige Stadtrat Kaspar Bopp über die Medienstelle mit. Die Gesetze und Normen würden für alle gelten, die Stadt Winterthur sei verpflichtet, sich daran zu halten.
«Das Vorgehen, mit einer illegalen Besetzung einfach Fakten zu schaffen, kann die Stadt nicht gutheissen.»
Kaspar Bopp, Stadtrat
Man sei im Gespräch und habe darauf verwiesen, dass die Stadt keine unrechtmässigen Besetzungen auf ihren Grundstücken dulden könne.
«Entsprechend wurden die Besetzer:innen aufgefordert, das Grundstück zu verlassen.»
Kaspar Bopp, Stadtrat
Das Wagenkollektiv Mumpitz will aber nicht gehen. «Wir bewegen uns am Rande der Legalität. Das ist uns bewusst. Wenn unsere Art zu Wohnen auch möglich wäre, ohne sich strafbar zu machen, wäre uns das siebenmal lieber.» Die Stadt habe auch schon mit Zivilprozessen gedroht. Aber bevor es nicht ernst werde, wollen sie bleiben.
«Die Art wie wir wohnen ist ein gesellschaftliches Bedürfnis. Das sieht man auch bei den vielen anderen Wagenplätzen die es in der Umgebung von Winterthur und in anderen Städten gibt.»
Besetzer:in, Wagenkollektiv Mumpitz
Ein anderes Kollektiv, das Kollektiv Frostschutz besetzt seit über zehn Jahren eine Wiese hinter dem Camping Schützenweiher. 2015 hat die Stadt vor dem Zürcher Obergericht gegen das Kollektiv verloren und duldet die Bauwagen seitdem. Dem vorausgegangen war ein Streit um eine angedrohte Räumung des Geländes. Bald schon muss aber auch das Kollektiv Frostschutz weg, wie die Stadt im Rahmen der Sanierung des Campings mitteilte. Mehr dazu liest du hier: Die «IG Camping» wehrt sich gegen die Pläne der Stadt Winterthur — WNTI
Wie es genau weitergeht auf der Wiese im Nägelsee-Quartier, weiss gerade niemand so genau. Das Kollektiv fühlt sich in der Nachbarschaft gut aufgenommen: «In der Nachbarschaft haben wir es gut und möchten im Austausch sein. Auch unser Trinkwasser können wir von Nachbarn beziehen, die finden das eine gute Sache.»
Die Stadt wird sich wohl noch weiter mit dem Kollektiv Mumpitz auseinandersetzen müssen. Auch wenn dieses sich wünscht, dass es ein bisschen mehr nach der Bedeutung seines Namens behandelt würde: Mumpitz ist laut Wörterbuch ein «Unsinn, den man nicht zu beachten braucht», sagt mir das Kollektiv zum Abschied.
Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.