Mütter können jetzt beim Kaiserschnitt live zuschauen
Das Kantonsspital Winterthur bietet neu die sogenannte Fenstersectio an. Eltern können so direkt mitverfolgen, wie ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt kommt. Ein intimer Blick auf einen Moment, der oft hinter Vorhängen stattfindet.
Beim klassischen Kaiserschnitt trennt ein Tuch den Kopfbereich der Mutter vom Operationsfeld. Das Kind wird operativ aus dem Bauch geholt, medizinisch versorgt und erst danach der Mutter gezeigt. Der Eingriff verläuft meist routiniert, doch viele Eltern erleben die Geburt dabei eher aus der Distanz. Das soll sich beim Kantonsspital Winterthur (KSW) nun ändern. Seit Mitte September bietet das KSW eine neue Form des Kaiserschnitts an: die sogenannte Fenstersectio. Dabei können werdende Eltern durch ein durchsichtiges OP-Tuch mitverfolgen, wie ihr Kind zur Welt kommt. «Die Eltern sehen dann, wie das Kind aus dem Bauch genommen wird – bis zur Abnabelung. Danach wird das Fenster wieder geschlossen und wir operieren ganz normal weiter», erklärt die Chefärztin der Klinik für Geburtshilfe Leila Sultan-Beyer. Medizinisch ändere sich an der Technik nichts, das Sichtfenster wird ausschliesslich für den Moment der Geburt geöffnet. Der Fensterkaiserschnitt wird nur auf Wunsch des Paares durchgeführt.
«Viele Frauen schätzen es enorm, diesen Moment miterleben zu dürfen.»
Leila Sultan-Beyer, Chefärztin der Klinik für Geburtshilfe am KSW Kantonsspital Winterthur
Die Nachfrage sei überraschend hoch, sagt Sultan-Beyer. Zwei bis drei Mal pro Woche wird die Fenstersectio bereits durchgeführt. Das Feedback der Patientinnen sei durchweg positiv: «Viele Frauen schätzen es enorm, diesen Moment bewusst miterleben zu dürfen. Es ist für sie ein ganz besonderes Erlebnis.» Sie sei überzeugt, dass dieser erste Blickkontakt zwischen Mutter und Kind eine nachhaltige Wirkung auf ihre Beziehung haben kann.
Die Idee der Methode ist nicht neu – angestossen wurde sie durch mediale Berichte aus Deutschland, in denen von der sogenannten «Kaisergeburt» die Rede war. «Wir wollten das eigentlich schon letztes Jahr einführen», so die Gynäkologin. Doch Lieferengpässe verzögerten die Umsetzung. Nun hat das KSW eine Lösung gefunden, das spezielle OP-Tuch mit Sichtfenster macht den Blick auf die Geburt nun möglich.
Mit 34 Prozent Kaiserschnittgeburten gehört die Schweiz laut BFS neben Italien und Deutschland zu den europäischen Ländern, in denen am häufigsten Kaiserschnitte vorgenommen werden. In Spanien, Frankreich und den nordeuropäischen Ländern ist der Anteil an Kaiserschnittgeburten deutlich tiefer. In der Schweiz hingegen wurde 2023 rund jedes dritte Kind auf diesem Weg geboren. Und wie steht es um mögliche Risiken? «Per se gibt es keine Nachteile – wenn man das Fenster nicht möchte, funktioniert die Abdeckung wie jede andere», stellt Sultan-Beyer klar. Auch Komplikationen habe es bisher keine gegeben: «Ich habe zum Glück noch keinen Fall erlebt, in dem das Gesehene als ‹zu viel gesehen› empfunden wurde, die Resonanz ist erfreulicherweise durchweg positiv.» Ein möglicher Nachteil der Methode sei, dass die Fenster-Abdeckung in der Herstellung teurer sei als herkömmliche OP-Tücher. Die zusätzlichen Kosten übernehme jedoch das Spital, als freiwilliger Service für die Patientinnen und Patienten. Das KSW gehört damit zu den ersten Spitälern im Kanton Zürich, die die Fenstersectio anbieten.
Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitet als Redaktorin im SRF Newsroom und war unter anderem bei der NZZ. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.