EM-Boom im Frauenfussball
In knapp vier Wochen rollt der Ball zur UEFA Women’s Euro 2025 in Basel und mit ihm vielleicht auch die Zukunft des Schweizer Frauenfussballs. Immer mehr Mädchen mischen auch in Winterthur das Spielfeld auf. Doch das wachsende Interesse bremst ausgerechnet die Clubs aus.
«Frauenfussball ist einfach nicht so spannend.» Eine von vielen Aussagen, die in Gesprächen immer mal wieder die Runde machen. Zu langsam, zu emotional oder zu unprofessionell. Diverse Studien haben mit diesen Stereotypen aufgeräumt, doch Frauen haben in der Welt des Sports immer noch mit Vorurteilen und Klischees zu kämpfen.
Am Anfang standen Spielverbot und Spott. Doch allen Vorurteilen zum Trotz hat sich der Frauenfussball in der Schweiz zu einer Erfolgsstory entwickelt. Im Juli ist die Schweiz erstmals Gastgeberin der 14. Fussball-Europameisterschaft der Frauen. Ein Aufschwung, der auch vor dem Breitensport nicht Halt macht. Doch obwohl der Frauenfussball im Aufwind ist, spiegelt sich das in Winterthur noch nicht vollständig wider: Der Anteil von Frauen und Mädchen in den Fussballvereinen liegt bei gerade einmal rund 15 Prozent.
Genau hier will die Stadt ansetzen und stellt im Rahmen der Europameisterschaft erstmals kostenlose Fussballtrainings für Mädchen zur Verfügung. «Die Kurse sollen möglichst niederschwellig sein, daher bieten wir sie gratis an», berichtet Nicole Erne, Projektleiterin der Sportförderung. Über 60 Teilnehmerinnen haben sich bereits angemeldet. Bis zu den Sommerferien finden die Trainings stadtweit an mehreren Standorten statt.
Der Frauenfussball gewinnt in der Schweiz zunehmend an Boden. So hat sich die Zahl der lizenzierten Fussballerinnen in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich erhöht. Laut dem Schweizerischen Fussballverband (SFV) waren Ende 2023 über 41'000 Spielerinnen registriert. Auch der Anteil von Frauen und Mädchen in den Fussballclubs ist gestiegen: Während er 2015 noch bei 8,5 Prozent lag, beträgt er aktuell zwölf Prozent. Der Aufwärtstrend ist klar – doch Frauen und Mädchen machen im Schweizer Fussball nach wie vor nur einen kleinen Teil aus.
Um noch mehr Mädchen für das Tschutten zu begeistern, will die Stadt ihr Angebot erweitern und ausbauen. Dazu sei man auch eng im Austausch mit den Vereinen, betont Nicole Erne. Doch können die Winterthurer Fussballclubs überhaupt mehr Spielerinnen aufnehmen? In vielen Vereinen sind die Mädchen-Teams voll, Wartelisten keine Seltenheit. Es mangelt an Trainerinnen und Trainern, an Trainingsmöglichkeiten und ganz grundsätzlich an Platz.
Ein Blick in die Vereine zeigt: Entspannung ist nicht in Sicht. Zwar setzen ein Grossteil der Clubs gezielt auf den Mädchen- und Frauenfussball und bieten Schnuppertrainings an. Doch viele von ihnen haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht.
Die Clubs müssen am Ball bleiben, um die Nachfrage nach Mannschaftsplätzen für Mädchen zu decken. (Bild: zvg)
So auch der FC Wülflingen. «Winterthur und der Frauenfussball stehen sehr schwierig da und es gibt nur wenige Trainer», sagt Roman Jetzer, Leiter der Juniorenabteilung des FC Wülflingen. Mit der steigenden Nachfrage drohen die Engpässe auch hier sichtbarer zu werden: Die Wartelisten werden länger, die Ressourcen knapper. Gerade wegen dieser Herausforderung will er nicht nur bei den Bubenteams am Ball bleiben, sondern auch den Mädchenfussball stärken. Die kostenlosen Trainingskurse der Stadt sieht Jetzer mit gemischten Gefühlen. Der Wille zur Förderung sei da, doch die Umsetzung sei schwierig, solange die Kapazitäten in den Vereinen nicht mitwachsen. «In Winterthur ist oft jeder gegen jeden», berichtet er und wünscht sich obendrein eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Vereinen.
Auch der FC Winterthur bietet immer in der ersten Woche der Sommerferien ein Girls-Camp auf der Schützenwiese an. Nachwuchsleiter Patrice Frauenfelder sieht noch viel Potenzial in der Förderung des Frauenfussballs. Gleichzeitig bleibt die Platzsituation eine Herausforderung: «Wir stossen immer wieder an unsere Grenzen und koordinieren deshalb die Platznutzung eng mit dem FC Wiesendangen», so Frauenfelder. Einen spürbaren EM-Effekt gebe es beim FCW zwar noch nicht, doch die Nachfrage bei den Frauen sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen.
«Am Schluss müssen die Mädchen in einem Verein landen und dann kann man die Erwartungen nicht erfüllen.»
Adriano La Pietra, Vereinspräsident FC Töss
Beim FC Töss zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: «Wir rechnen durch die EM noch mit einem weiteren Ansturm, aber es wird schwierig, hier wieder neue Frauenteams zu bilden», erklärt Vereinspräsident Adriano La Pietra. Das kostenlose Angebot der Stadt schaffe zwar mehr Interesse, aber auch Erwartungen: «Am Schluss müssen die Mädchen in irgendeinem Verein landen und dann kann man die Erwartungen nicht erfüllen.» Deshalb sucht La Pietra immer wieder das Gespräch mit der Stadt: Neben wachsenden Mitgliederzahlen müsse vor allem die Infrastruktur mitwachsen, damit der Erfolg nicht ins Stocken gerät.
Insgesamt sei die Zahl der Spielerinnen in den letzten vier Jahren auch beim FC Seuzach um rund 60 gestiegen. «Mit inzwischen 36 Teams stösst die Sportanlage Rolli an ihre Belastungsgrenze. Die Spiel- und Trainingsplanung wird von Jahr zu Jahr anspruchsvoller», erklärt Vereinspräsident Toni Casanova. Doch er bleibt zuversichtlich: «Wir werden alles versuchen, um den Mädchen auch in der kommenden Saison einen Platz im Verein zu ermöglichen.»
«Es braucht auch organisatorische Ansätze bezüglich des Trainingsablaufs.»
Dave Mischler, Leiter Sportamt Winterthur
Der Stadt ist die angespannte Platzlage bewusst, erklärt Sportamtsleiter Dave Mischler. Deshalb sei eine Kunstrasen-Offensive bereits im Gang: Auf jeder Rasensportanlage soll künftig künstliches Grün ausgerollt werden. Dieses soll bis zu dreimal so viele Spielstunden aushalten wie Naturrasen. Mischler sieht aber auch die Vereine in der Verantwortung: «Es braucht organisatorische Ansätze bezüglich des Trainingsablaufs, damit die Plätze optimal genutzt werden.» In einem laufenden Projekt im Rahmen der Frauen-EM erarbeitet die Stadt gemeinsam mit dem Schweizer Fussballverband derzeit Massnahmen, um vorhandene Kapazitäten besser zu nutzen. Die Ergebnisse sollen bis zum Sommer vorliegen.
Fest steht: Die UEFA Women’s Euro 2025 bringt nicht nur internationalen Spitzenfussball in die Schweiz, sondern auch Schwung in die Entwicklung vor Ort. Damit der positive Trend nachhaltig wirkt, sind passende Strukturen und genügend Ressourcen entscheidend.
Marit Langschwager verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitete unter anderem bei der NZZ und im SRF-Newsroom. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.