Das Dampfzentrum Winterthur startet neu

Wo Sulzer einst Dampfschiff-Motoren baute, steht heute die grösste Dampfmaschinen-Sammlung der Schweiz. Nach einem Umbau öffnet das Dampfzentrum am Lagerplatz seine Tore wieder. Wir haben uns vor der Eröffnung bereits umgeschaut.

1889 fand in Paris die zehnte Weltausstellung statt. Gespart wurde dabei nicht: der Eiffelturm, extra für die Weltausstellung gebaut, zeugt noch heute davon. Auch aus Winterthur reiste eine Vertretung nach Paris. Die Gebrüder Sulzer stellten stolz eine neue Art von Dampfmaschine vor.

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Mit dieser Dampfmaschine präsentierte sich Sulzer 1889 in Paris. (Bild: Gioia Jöhri)

In der Halle 181 am Lagerplatz 27 treffe ich auf genau diese Dampfmaschine. Stolz präsentiert mir Rolf Kuratle dieses Monstrum an Maschine: «Sie war etwas ganz Neues. Sie konnte Strom liefern für circa 3000 Glühbirnen». Die Sulzer-Weltausstellungsmaschine erhitze Wasser zu Dampf, der durch seine Ausdehnung drei Zylinder bewegte. Diese trieben einen Generator an, der Bewegungsenergie in Elektrizität umwandelte. Bald schon leuchteten in Winterthur Strassenbeleuchtungen und fuhren die Trams elektrisch.

Über 100 Dampfmaschinen, die meisten in Winterthur gebaut, reihen sich in der Halle 181 auf. Stiftungsratspräsident Rolf Kuratle ist seit sechs Monaten im Amt. Seine Begeisterung für die Sammlung an Dampfmaschinen ist spürbar. Nach dem Umbau der Halle, die wie das ganze Lagerplatz-Areal der Stiftung Abendrot gehört, öffnet das Dampfzentrum seine Tore bald wieder. Das Ziel: relevanter und bekannter werden in Winterthur.

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In der frisch renovierten Halle 181 sind die Dampfmaschinen die Stars (Bild: Gioia Jöhri)

«Das Dampfzentrum habe ich nicht gekannt, bevor ich Stiftungsratspräsident wurde, obwohl es mich interessiert hätte. Hier müssen wir ansetzen », erzählt mir Rolf Kuratle auf unserem Rundgang. Die Zeit des Umbaus habe die Stiftung Dampfzentrum Winterthur für einen Generationenwechsel genutzt. Zusammen mit dem gleichnamigen Verein bildet die Stiftung die Trägerschaft. Im Verein engagieren sich viele Freiwillige für die Pflege und Restaurierung der Maschinen. «Viele unserer Ehrenamtlichen haben selbst einen Sulzer-Hintergrund und haben ihr Wissen und die Begeisterung aus ihrem Berufsleben mitgenommen», erklärt Kuratle. Das Wissen drohe aber verloren zu gehen, denn der Verein sei ziemlich überaltert. Kuratle, erst gerade pensionierter Ingenieur, hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Verein zu verjüngen und das Museum in ein neues Zeitalter zu führen.

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Stiftungsratspräsident Rolf Kuratle vor seiner Lieblings-Dampfmaschine, die Strom für das Basler Tramnetz lieferte. (Bild: Gioia Jöhri)

Das Dampfzentrum ist einzigartig in der Schweiz. Seine Wurzeln liegen nicht in Winterthur, sondern auf dem Thunersee: Dort war bis in die 1970er-Jahre der Raddampfer «Blüemlisalp» unterwegs. Ein Verein rettete das Schiff auch nach seiner Ausmusterung. Über die Jahre sammelte er weitere Dampfmaschinen, nannte die Sammlung «Vaporama» und restaurierte sie aufwendig. 2011 aber stand das Vaporama vor dem Aus, dann kam die Rettung aus Winterthur. Denn der seit 2009 bestehende Verein Dampfzentrum wollte alle Maschinen übernehmen. Dank grosszügigen Geldgebern, unter anderem vom Immobilien-Unternehmer Robert Heuberger, gelang die Überführung aller Maschinen von Thun nach Winterthur. «Der Transport der riesigen Maschinen muss ganz speziell ausgesehen haben», lacht Kuratle.

Die Dampfmaschinen-Sammlung in Winterthur ist heute als Kulturgut der Kategorie A eingestuft, das bedeutet, dass ein Kulturgut von nationaler Bedeutung ist. Auf 1200 Quadratmetern sind die verschiedensten Maschinen ausgestellt, neben Wasserpumpen stehen Schiffsmotoren, eine Werkslokomotive vom Sulzer-Areal oder die Dampfmaschine, die den Strom für das Basler Tramnetz produzierte. Das alles braucht viel Platz. Die Miete der Halle mache gegen 90 Prozent der Ausgaben aus. «Ein Uhrenmuseum zu haben, wäre in dieser Beziehung deutlich einfacher», meint Kuratle schmunzelnd.

«Ein Uhrenmuseum zu haben, wäre in dieser Beziehung deutlich einfacher»

Rolf Kuratle, Präsident Stiftung Dampfzentrum Winterthur

Woher das Geld kommt, beschäftigt die Stiftung und den Verein Dampfzentrum seit seinen Anfängen. Man habe zwar grosszügige Mitglieder und werde von der Stadt auch unterstützt. Aber letztere laufe bald aus. Auch deshalb werden gerade neue Ideen ausgetüftelt. Rolf Kuratle stellt sich Kooperationen mit Hochschulen oder Firmen vor und auch das Sponsoring von Sonderausstellungen sei wünschenswert.

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Der Umbau am Lagerplatz 27 ist aussen noch nicht ganz abgeschlossen. (Bild: Gioia Jöhri)

Rolf Kuratle ist überzeugt, dass das Dampfzentrum eine wichtige Rolle in der Geschichtsvermittlung spielen sollte: «Unsere Maschinen zeigen die enge Verbindung von Winterthur und seiner Industriekultur. Winterthur sieht heute so aus, wie es aussieht, weil Fabriken und Industrie lange sehr prägend waren». Die Anfänge dieser Kultur werden in der Halle 181 mit der Neueröffnung wieder nah- und erlebbar.

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Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.

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Von Gioia Jöhri

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