400 Jungbäume für eine Rosskastanie

Keine Grabkerzen oder weinende, an Bäume gekettete Menschen. Jedoch leidenschaftliche Worte und die Warnung: «Suscht simer irgendwenn im Kochtopf!» Der Kampf um die Kastanienbäume an der Technikumstrasse ist noch nicht zu Ende.

Gestern wohnte ich einer Medienkonferenz in der Alten Kaserne bei. Thema waren die 31 Kastanienbäume, welche für die Sanierung der Technikumstrasse gefällt werden sollen. Von den ursprünglichen 37 hat die Stadt unterdessen versprochen, sechs stehenzulassen. Aber fangen wir von vorne an. Seit 2019 plant die Stadt Winterthur die Erneuerung der Technikumstrasse. Die darunterliegenden Abwasserkanäle sind teilweise über 100 Jahre alt und die Fahrbahn hat gelitten. Mit rund 20`000 Fahrten pro Tag ist die Strecke vom Bahnhof rechts vorbei an der Altstadt eine der meistbefahrenen der Stadt. Vier Buslinien verkehren auf ihr. Daran, dass die Umgestaltung nötig ist, zweifelt niemand – die Umsetzung sorgt allerdings seit Beginn für grosse Aufregung. Es gab zahlreiche Einsprachen. es zahlreiche. In der dritten Phase wurde ein Rekurs gegen die Projektfestsetzung des Stadtrates ergriffen. Er wird aktuell durch den Regierungsrat behandelt und deckt inhaltlich die gleichen Punkte ab, wie an der Medienkonferenz gefordert. 

Auf viel Unverständnis stiess die Stadt damit, dass sie den Umbau ohne die bestehenden Kastanienbäume plante. Diese sollten durch 44 klimaresistentere Jungbäume ersetzt werden. Aufgrund von Spurenänderungen und breiteren Trottoirs wird der Strassenraum in den Plänen breiter und verlagert sich weiter zum Technikum hin. Das Argument der Stadt: Die Bäume stünden im Weg.

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Von den 37 Rosskastanien an der Technikumstrasse sollen nur sechs erhalten bleiben. Diese drei gehören dazu. (Bild: Maria Wyler)

Was klar ist: Die Aussenparkplätze vor dem Technikum entlang der Strasse fallen weg und die Einführung von Tempo 30 ist gesetzt. Damit die Strasse zwischen Altstadt und Hochschulgelände von Fussgänger:innen besser überquert werden kann, ist ein zwei Meter breiter Mittelstreifen auf der Fahrbahn vorgesehen. Der Landbote berichtete Anfang des Jahres ausführlich. 

Zurück zur gestrigen Medienkonferenz. Eingeladen dazu hatten diverse Verkehrsverbände. Baumpfleger Fabian Dietrich, Daniel Costantino (UmverkehR), Christian Maier (Agil-Mobil) und Kurt Egli (Pro Velo Winterthur und VCS), platzierten ihr Anliegen. Zusammen mit den Rekurrent:innen haben sie einen Appell an Stadträtin Christa Meier verfasst. Ihre Forderung: Dieses Projekt sollte nochmals überdacht werden. Ihnen geht es hauptsächlich um den Baumerhalt, aber auch um die Verkehrssicherheit. 

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Die gutgelaunten Gastgeber: Daniel Constantino, Christian Meier von der FDP Winterthur, Kurt Egli und Fabian Dietrich von der Natur- und Tierschutz-Stiftung Fondation Franz Weber.(Bild: Maria Wyler)

Fabian Dietrich eröffnete die Runde mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für das Stehenlassen aller Rosskastanien. Den etwa 60 bis 80 Jahre alten Bäumen gehe es ausserordentlich gut und die Zeitzeugen durch Jungbäume zu ersetzen, würde Winti um Jahrzehnte zurückwerfen.

«Neue Bäume können dieses Ökosystem nicht ersetzen»

Fabian Dietrich, Baumpfleger

Eine Rosskastanie hat unter guten Bedingungen eine Lebenserwartung von 300 Jahren oder mehr. So gesehen seien dies eigentlich «Teenager-Bäume», erklärte Dietrich. Bei einer Aussentemperatur von 35 Grad hätten wir jetzt dank der Rosskastanien in ihrem direkten Umfeld etwa 25 Grad. «Neue Bäume können dieses Ökosystem nicht ersetzen», so Dietrich weiter. Pro altem Baum brauche es 400 neue für das gleiche Ergebnis. Der Baumpfleger wies darauf hin, dass für Bäume die Startjahre immer schwierig seien. Die Klimaentwicklung fordere eine angemessene Pflege, diese sei mit hohen Kosten verbunden. Laut Dietrich seien die alten Kastanien stabil genug und könnten auch einen Wurzelverlust verkraften. Die Unterzeichnenden kritisieren, dass die Stadt die Bäume nicht in die Planung miteinbezogen hat, was hinsichtlich der Wärmebelastung keinen Sinn mache.

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Laut Fabian Dietrich bindet dieser Baum 13 bis 18 Kilogramm CO₂ am Tag und kann 11 Personen für ein ganzes Jahr mit Sauerstoff versorgen. (Bild: Maria Wyler)

Im Brief wird auch die zwei Meter breite, abgehobene Insel thematisiert. Fussverkehr Schweiz schreibt, diese könne wegen der hohen Bushaltekanten nur eingeschränkt genutzt werden und würde nur funktionieren, wenn auch flächig gequert werden könne. Da «über die Strasse hüpfen», wie es Kurt Egli nannte, sowieso nicht empfehlenswert sei bei mehreren Spezialspuren, nehme dieser Mittelbereich nur Spielraum für Lösungen, die eben den Baumerhalt ermöglichen würden.

Daniel Constantino betonte zum Schluss, man wolle «Brücken bauen und nicht Gräben graben». Mit dem Appell würden sie der Stadt nicht ans Bein pinkeln wollen, sondern ihr nochmal ans Herz legen, es besser zu machen und eine Entscheidung zu treffen, auf die man in Zukunft stolz sein könne.

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So soll es an der Technikumstrasse nach der Sanierung aussehen. (Bild: Stadt Winterthur)

«Es ist nicht der Zeitpunkt, wo man etwas verändern kann», so Michael Graf vom Baudepartement der Stadt Winterthur. Mit der Pressekonferenz wolle man politischen Druck ausüben. Er betont, Bevölkerung, Verbände und Betroffene hätten sich im Rahmen des Strassengesetzes schon zweimal einbringen können, diverse Anliegen seien in das Projekt aufgenommen worden.

In den nächsten Monaten wird eine juristische Klärung vorliegen. Die Stadt kritisiert, dass die Verkehrsverbände diese nicht abwarten wollen. Sie betont auch, dass eine Prüfung aller Bäume punkto Vitalität und Lebenserwartung stattgefunden habe, worauf die Stadt entschied, die sechs besonders markanten und gesunden Bäume der hinteren Baumreihe zu erhalten. Viele der übrigen Bäume hätten eine begrenzte Lebensdauer aufgrund fehlender Baumquartiere und der Lage über der Tiefgarage, zwei in der vorderen Reihe hätten bereits wegen Stammfäulnis gefällt werden müssen. Zum Argument, dass ein Umbau durchaus auch mit den bestehenden Bäumen möglich sei, sagt die Stadt, dass nicht der neue Querschnitt das Problem sei, sondern die in jedem Fall notwendige Baustelle. Sie würde die Wurzeln in Mitleidenschaft ziehen, was zum Absterben der Bäume führe. Zudem würde eine Sanierung mit Beibehalt der vorderen Baumreihe die Baustelle stark verkomplizieren und verlängern. 

«Die jüngste Inszenierung stellt die stattgefundene Mitwirkung und die Prozesse nach Strassengesetz auf den Kopf.»

Michael Graf, Baudepartement Stadt

Zur Verkehrssicherheit sagt die Stadt, eineinhalb Meter breite Velostreifen und drei Meter Fahrbahn vor dem Technikum seien zwar nicht grosszügig, aber in der Norm und deutlich besser als bisher. Die vermeintlich zu schmalen Velostreifen sind Bestandteil des eingereichten Rekurses, der gerade geprüft wird. «Die jüngste Inszenierung stellt die stattgefundene Mitwirkung und die Prozesse nach Strassengesetz auf den Kopf. Durch Maximalforderungen und die Drohkulisse der parlamentarischen Ablehnung des Kredits wird die dringend nötige Sanierung von Kanal und Strasse womöglich auf Jahre blockiert und werden Verbesserungen für ÖV, Velo und Fussverkehr leichtfertig aufs Spiel gesetzt», schreibt Graf. 

Auch die Grüne Winterthur teilt die Fundamentalkritik am Projekt Technikumstrasse nicht. «Wir vertrauen grundsätzlich den städtischen Spezialisten und Erfahrungen aus anderen Projekten», schreibt die Partei in einer Medienmitteilung. Einen Ersatz der Bäume erachtet sie als unumgänglich, den Verzicht auf einen Mittelstreifen hingegen für zweckmässiger. Auch von Seiten der SP wird der starke Gegenwind kritisiert. Dass seit Jahren gegen wichtige Strassenprojekte vorgegangen werde, blockiere systematisch erklärte Ziele der Stadt. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit Verbänden, die sich für Velo-, Fussverkehr und Stadtklima interessieren, müsse eigentlich naheliegen. Man befürchtet, dass das Projekt blockiert und damit eine dringend nötige Sanierung verhindert wird. 

Die Verfasser:innen des Appells haben betont, man wolle keine Verzögerung. Bleibt zu hoffen, dass bald ein Entscheid vorliegt, der akzeptiert wird. Das Parlament sagt nur ja oder nein, ein Vielleicht gibt es nicht.

WNTI-Portrait-Maria-Wyler

Jonglieren kann Maria eigentlich nicht. Wir finden aber schon. Denn sie schreibt für WNTI, organisiert den Alltag ihrer drei Söhne und musiziert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen machte sie beim Mamablog des Tages-Anzeigers und als freie Texterin. Heute findet sie ihre Geschichten in all den Menschen, die sie in den 20 Jahren, in denen sie in der Stadt wohnt, kennen und schätzen gelernt hat.

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