Zeichnen, bis es wieder morgen wird
Dieses Wochenende verwandelte sich die Alte Kaserne für 24 Stunden in eine emsige Comicfabrik. Am Samstag um Punkt 12 Uhr hiess es zum 18. Mal auf die Stifte, fertig, los!
«Angeknüpft an die Idee von Scott McCloud wollen wir einen Raum schaffen für kreative Arbeit», sagt Barbara Tribelhorn. Seit drei Jahren organisiert sie den 24-Stunden-Comic. Unterdessen weiss sie, was die Teilnehmenden alles brauchen. «Spaghetti um 18:00 und 02:00 Uhr», sagt sie und hebt den Zeigefinger. Dieses Jahr stellen sich 62 Zeichner:innen der Herausforderung, das Event war in drei Tagen ausverkauft.
Die Bedingungen des amerikanischen Comickünstlers McCloud: In 24 Stunden einen 24-seitigen Comic von A bis Z fertigstellen, ohne Vorarbeit und Hilfe anderer. Es gilt der Richtwert von vier Panel – Comicfelder – pro Seite. Arbeiten, die als erfolgreich zählen, werden an die Ohio State University gesendet, wo sich das Archiv aller 24-Stunden-Comics weltweit befindet.
Fast keinen 24-Stunden-Comic liess sich die Winterthurerin Lilian nehmen. Die 71-Jährige musste nur zwei Mal aus der Ferne teilnehmen – einmal aus Marseille und einmal aus den USA. Sie ist eine 24-Stunden-Comic-Legende, die auch am Luzerner Comicevent Fumetto 2016 mit ihrer Arbeit den dritten Platz gewann. Was ihr an solchen Events besonders gefällt ist der Zwischenbereich, in dem er stattfindet: «Zeichnen tut man alleine und trotzdem ist man hier in einer Gruppe, die auch trägt.» Die 24 Stunden macht sie nicht mehr durch, sie brauche etwas Schlaf, um nicht die ganze Woche einen «Jetlag» zu haben. Ihr Ziel ist es, ihre Arbeit fertig zu machen. Aber das ist nicht so einfach: «Jedes Mal bin ich zerrissen zwischen ‹Fürschi machen› und ‹socializen›», sagt sie.
«Mein Traum ist es, einen Comic so schnell zu zeichnen, wie man ihn liest.»
Samuel Schuhmacher, Teilnehmer 24-Stunden-Comic
Der gemeinschaftliche Aspekt ist es auch, der Samuel vor allem an das Event lockt. Bereits als Teenie nahm er am 24-Stunden-Comic teil. Insgesamt war er schon sieben oder acht Mal dabei, mit Unterbrüchen. Drei oder viermal habe er die 24 Seiten geschafft. «So genau weiss ich das nicht mehr», sagt er. Seine Taktik änderte sich jedes Mal ein bisschen, manchmal ging er es sportlich an und skizzierte die ganze Story, bevor er sie «eintintete». Andere Male zeichnete er vor zu und schaute, wohin ihn die Geschichte trug. So geht er es auch heute an, denn als Vater eines Babys ist er bereits mit Schlafmangel in der Alten Kaserne angekommen. Heute sei sein Ziel einfach Spass zu haben und die Gemeinschaft zu geniessen. «Mein Traum ist es aber, einen Comic so schnell zu zeichnen, wie man ihn liest.»
Weiter hinten im Saal, etwas versteckt, trifft man auf zwei bekannte Gesichter. Vielleicht kennt ihr Tobjia und Simone noch aus anderen WNTI-Newslettern. Die beiden sind zum ersten Mal am 24-Stunden-Comic.
Simone ist Illustratorin (sie gestaltete die letzte WNTI-Postkarte) und studierte in Zürich. Unterdessen wohnt sie in Winterthur und hofft, hier die Comic-Szene von Winti etwas besser kennenzulernen. «Und ich freue mich, 24 Stunden einmal wieder an einem eigenen Projekt arbeiten zu können.» Heute will sie einen Brief in Comicform schreiben. Dafür konzipierte sie anhand des Textes einen Seitenplan und arbeitet nun auf Bildebene. «Da ich in der Nähe wohne, werde ich aber wohl kurz schlafen gehen», sagt sie.
Simone Stolz war das erste Mal am 24 Stunden-Comic ... (Bild: Robyne Dubief)
... genau wie Tobija Fischer. Beide sind aus Winterthur. (Bild: Robyne Dubief)
Während Simone bereits eifrig am Zeichnen ist, konzipiert Tobija noch an seiner Arbeit. Im Zeichnen habe er keine grosse Erfahrung, sein Anreiz, am Comicevent teilzunehmen, war vor allem das Format. «Ich mag solche Hackathon-Formate, bei denen man am Stück an etwas arbeitet», sagt er. Er habe ausserdem die Herausforderung von Scott McCloud komplett umarmt und sei unvorbereitet hergekommen. Einzig, dass er etwas Politisches machen möchte und eine simple Bildsprache verfolgen wird, war ihm schon klar. Sein Ziel sei es, einfach etwas fertigzustellen. «Ob es 24 Seiten lang sein wird, das wird sich zeigen.»
Sollte er oder eine andere teilnehmende Person es aber nicht schaffen, wird sie nicht mit leeren Händen nach Hause gehen. Jeder Comic wird im Stadtarchiv aufbewahrt. «Wir erschaffen hier Winterthurer Kulturgut», sagt Organisatorin Tribelhorn. Und ein Zertifikat gibt es auch – mit der Aufschrift «ehrenvoll gescheitert».
Olivia Ruffiner ist Journalistin und Wahl-Winterthurerin. Sie ist aktiv in der Kulturszene, etwa als Mitorganisatorin des «Drink + Draw» Winti, und berichtet schwerpunktmässig über alles, was in Winterthur gemalt wird.