Antreten, Abtreten oder lieber Neophyten ausreissen?
Stramm gestanden wird in Winterthur seit 2017 nicht mehr. Dabei war unsere Stadt lange ein wichtiger Stützpunkt für die Ausbildung von Rekruten. In der Alten Kaserne war bis 1972 die Radfahrer-RS einquartiert und auch die Reithalle ist bis vor einigen Jahren noch für militärische Zwecke genutzt worden. Mit der «Service-Citoyen-Initiative» könnte sich dies aber wieder ändern, da bei einer Annahme auch Frauen einen «Bürgerdienst» absolvieren müssten.
Radfahrer-RS und Stramm stehen in der Reithalle. (Bilder: Sammlung Winterthur)
Am 30. November stimmen wir über die nationale «Service-Citoyen-Initiative» ab. Das Initiativkomitee möchte, dass alle Personen mit Schweizer Bürgerrecht einen Dienst zugunsten der «Allgemeinheit und der Umwelt» leisten. Dieser Dienst soll als Militärdienst oder «in Form eines anderen, gleichwertigen und gesetzlich anerkannten Milizdienstes» geleistet werden. Was das im Detail bedeutet, müsste das Parlament nach Annahme der Initiative ausarbeiten. Denkbar seien laut Komitee beispielsweise Einsätze in Landwirtschaft, der Betreuung oder dem Katastrophenschutz. Zudem sollen die Sollbestände der Armee und dem Zivilschutz garantiert werden.
ihren Stärken frei wählen könnten.»
Julia Schreiber, Pensionärin
Die WNTI-Redaktion hat bei den Winterthurer:innen nachgefragt. Auf den Winterthurer Strassen sind sich alle in den Grundsätzen einig, dass ein Dienst an der Gesellschaft sinnvoll ist. Die Pensionärin Julia Schreiber würde einen Service Citoyen begrüssen, wenn «alle ihren Einsatz nach ihren Stärken frei wählen könnten». Damit ist sie nicht allein. Auch die 25-jährige Danay sagt: «Wenn es um den Zivildienst geht, bin ich dafür. Im Freundeskreis haben wir schon oft diskutiert, dass Zivildienst auch ein persönlicher Gewinn sein kann und ein schönes Konzept ist.» Zum Militär sei sie eher kritisch eingestellt. Rafael hat selbst Militär gemacht und ist nun im Zivilschutz. Auch er befürwortet die Initiative: «Auch wenn das Ganze etwas kosten wird, es ist für alle ein Gewinn. Man nimmt viel aus solchen Einsätzen mit und durch diese Erfahrungen nützten auch der Privatwirtschaft.» Zudem kenne er aus dem Zivilschutz auch freiwillige Frauen, die dafür seien.
Auch der 67-jährige Thomas ist für einen Service-Citoyen, bedenkt aber: «Es wird für die Initiative schwierig werden, weil bestimmt mit den Kosten argumentiert wird». Damit hat er recht. Bund, Parlament und die meisten grossen Parteien lehnen den Bürgerdienst ab. Weil man deutlich mehr Leute rekrutieren müsste, würden die Kosten zu stark steigen, argumentiert der Bundesrat. Verteidigungsminister Martin Pfister anerkennt, dass die Initiative das gemeinschaftliche Engagement stärken wolle, aber: «Die Initiative ist nicht der richtige Weg dafür».
Einzig die EVP und die GLP stellen sich hinter den Service Citoyen. Das Initiativkomitee ist zwar überparteilich breit aufgestellt, doch im linken Lager wird die zusätzliche Arbeitslast für Frauen kritisiert, obwohl die Frauen noch heute das Gros der Betreuung von Kindern und Angehörigen übernähmen. In Bürgerlichen Kreisen sind vor allem die wirtschaftlichen Kosten Thema. Und von der Armee heisst es, dass die männliche Bevölkerung für die sicherheitspolitischen Bereiche, also Armee und Zivilschutz, ausreichend sei.
Wie die Abstimmung ausgeht, wissen wir am 30. November. Obwohl unsere kleine Strassenumfrage eine positive Grundhaltung zeigt, werden sich die Geister wohl an den unklaren Details scheiden. Und eine gestern publizierte Meinungsumfrage von Tamedia und 20 Minuten prophezeit der Initiative zurzeit nur eine knappe Mehrheit.
Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.