Die Kult-Reporter von der Schützenwiese
Seit vielen Jahren berichten Toni Gassmann und Roland Hofmann auf Radio Stadtfilter über die Spiele des FC Winterthur – während 90 Minuten, mit enormem Fussball-Fachwissen und viel Herz.
In der Ferne ertönen die Anweisungen eines Juniorentrainers, vom Kirchturm St. Peter & Paul schlägt es die volle Stunde. Toni Gassmann (67) stellt sein Velo ab und setzt sich zu Roland Hofmann (56) an die Festbank bei der verwaisten Libero-Bar auf der Schützenwiese. Vor FCW-Heimspielen tobt hier der Bär, aber das Reporter-Duo Gassmann/Hofmann kriegt den Rummel nicht mit. Es installiert sich jeweils auf den Medienplätzen der Haupttribüne für die Live-Übertragung eines Super-League-Matches. Roland hat zuvor den Rollkoffer mit der Technik im Stadfilter-Studio abgeholt. Die beiden Kommentatoren gehen nochmals die letzten News aus den Lagern der beiden Teams durch, bevor «Hells Bells» aus den Schützi-Lautsprechern dröhnt und die Kicker auf den Rasen marschieren. Die Direktübertragung über die volle Spieldauer beginnt mit der Begrüssung der Hörerschaft. Gassmann lanciert Hofmann mit einer Frage oder umgekehrt. «Die Ambiance in diesem Stadion ist einmalig», konstatiert Roland Hofmann.
«Die Schützi ist weit weg von Perfektion, aber sie hat Charme.»
Roland Hofmann, Sportreporter
Der sportlich schwer unter Druck stehende Kult-Club FCW passt in diese Kulisse, und die beiden langjährigen Stadtfilter-Reporter passen mit ihrem grossen Herzen und der unverfälschten Begeisterung für den Fussball zum FCW, in dessen Auftrag sie vor den Matches regelmässig Teaser-Interviews fürs Vereins-TV führen. «Wir sind keine geschniegelten Medienprofis», sagt Roland Hofmann, und Toni Gassmann präzisiert: «Früher gabs im Velosport die Elite-Amateure. Die Bezeichnung könnte auf uns zutreffen.»
Gassmann/Hofmann kennen sich in der Szene aus und sind authentisch. Sie halten zwar mit ihrer Zuneigung zu den Löwen nicht hinter dem Berg, üben aber auch Kritik, wenn Silvan Sidler wieder mal einem gegnerischen Angreifer hinterherrennt oder Randy Schneider in der Zone 3 die falsche Entscheidung trifft. Die zwei Hobby-Reporter haben einst selbst Gras gefressen als Amateurfussballer, Roland bei Phönix, Toni bei Bassersdorf. Diese Fronterfahrung ist ebenso von Vorteil am Mikrofon wie der pädagogische Langmut, wenn der Ball schon wieder in die falsche Richtung rollt.
Dr. Roland Hofmann arbeitet als Dozent im Bereich Banking & Finance an der ZHAW und ist eine nationale Kapazität seines Faches. Toni Gassmann wirkte während Jahrzehnten als Lehrer für Gestaltung und Kunst an Mittel- und Sekundarschulen. Seit Februar ist er pensioniert. «Ich habe mir einen Traum erfüllt und bin für einige Monate nach München gezogen», erzählt er. Das ist der Grund, weshalb Hofmann entweder alleine reportiert oder mit einem jüngeren Kollegen. Aber bald spannen die beiden Kult-Kommentatoren wieder zusammen. «Kanns kaum erwarten, im November ins Stadion zurückzukehren», sagt Toni Gassmann. «Ich höre in Bayern jeden FCW-Match und bin bestens über die Super League im Bild.» Roland Hofmann freut sich auf das Comeback.
«Toni ist mein Lieblingspartner; wir ergänzen uns gut und sind über all die Jahre so etwas wie Freunde geworden.»
Roland Hofmann, Sportreporter
Die erste gemeinsame Live-Übertragung ging 2012 über den Äther, Toni war kurz zuvor zu Stadtfilter gestossen. Roland hält dem Alternativradio seit dem Spätsommer 2009, fast seit Sendestart, die Treue: «Ich erinnere mich an meinen ersten Reportereinsatz beim Cupspiel in Frauenfeld, das Winti 8:0 gewann, und bei dem der junge Innocent Emeghara seinen Einstand gab.»
Während sich Hofmann als Ur-Winterthurer outet, der seit 45 Jahren fast jedes Heim- und viele Auswärtsspiele des FCW verfolgt, zog Gassmann Mitte der Neunzigerjahre in die Stadt. Er wohnt zwischen Eulachhalle und Stadion und behält so das Geschehen auf der nahen Schützi im Blick. Seine zweite fussballerische Heimat ist der Letzigrund, wo er als Kommentator beim unabhängigen Fan-Radio des FC Zürich, Züri Live, wirkt. Überregionale Berühmtheit erlangten die zwei Winterthurer, als sie am 21. Mai 2022 nach dem überraschenden Aufstieg des FCW in Kriens die 73 Kilometer nach Winterthur zu Fuss zurücklegen wollten. In Adliswil war Schluss. Die restlichen Kilometer holten sie diesen Frühling nach, als die Lage in der Meisterschaft kritisch wurde und man wieder einmal den Fussballgott beschwören musste.
Wenn die beiden von der Schützi, aus dem Stade de Genève oder dem Cornaredo in Lugano berichten, ergibt sich die Aufgabenteilung aufgrund der Temperamente. Gassmann beschäftigt sich mehrheitlich und enthusiastisch mit dem Spielgeschehen, wobei er eine besondere Gabe einsetzt: Der frühere Hochbauzeichner kann den Ort des Geschehens auf dem Rasen bis auf einen Meter lokalisieren, die Stelle, wo ein Freistoss getreten oder ein Foul begangen wird. Dabei tritt das Gassmannsche Mass in Kraft: die Rasenmäherbahnen. Roland löst Toni immer wieder beim Reportieren ab. Er ist fürs Analysieren und Einordnen zuständig: «Das hat auch mit meinem in der Wissenschaft verorteten Beruf zu tun.» Wenn der FCW ein Tor schiesst, klingt es im Duett: «Goal, Goal!» Der Eindruck, dass sich Toni häufiger über unfaire Gegner oder Schiedsrichterfehler aufregt, täuscht nicht. «Roland ist aber deutlich nervöser, wenn sich im FCW-Strafraum eine brenzlige Situation ankündigt», urteilt Gassmann.
Es ist wohltuend, dass Radio Stadtfilter an den Live-Übertragungen sämtlicher FCW-Spiele in Liga und Cup festhält. Dafür steht ein Pool von Freiwilligen zur Verfügung. Ohne den jüngeren Reportern nahezutreten: An die Performance und das Fachwissen der Grandseigneurs kommt in «Der Ball ist Rundfunk» niemand ran. Gassmann/Hofmann sind sich auch nicht zu schade, in den entlegensten Winkel der Schweiz oder zu einem Cupfight auf dem Lande zu reisen. Auf langen Auto- oder Zugfahrten ins Tessin oder in die Romandie sprechen sie viel über Fussball. «So frischen wir gegenseitig unser Knowhow auf», sagt Hofmann und Gassmann ergänzt: «Wenn Roland am Steuer sitzt, fühle ich mich verpflichtet, ihn zu unterhalten.» Ein Honorar kriegen die beiden vom Alternativradio übrigens nicht, nur SBB-Spesen oder die Auslagen für eine Tankfüllung. «Das geht in Ordnung», sagen die Reporter-Ikonen, «ein schöneres Hobby können wir uns nicht vorstellen.»
Christoph Ammann ist preisgekrönter Reisejournalist. Er arbeitete unter anderem beim «Sonntagsblick», der «Sonntagszeitung», und dem «Tages-Anzeiger». Er ist regelmässiger Hörer von «Der Ball ist Rundfunk».