Wenn der Zivildienst wegfällt ‒ Winterthur wäre betroffen

Der Zivildienst hilft dort, wo die Gesellschaft ihn benötigt: in Schulen, Pflege, Naturschutz oder Sozialem. Geplant ist aber, dass es ihn schon bald nicht mehr gibt. Das würde auch gemeinnützige Winterthurer Institutionen treffen.

Die Schweizer Armee ist gerade in aller Munde. Kampfjets und Sicherheit liest man täglich irgendwo. Aber nicht alle jungen Schweizer Männer leisten ihren Dienst in der Armee. Personen, die für den Militärdienst tauglich sind, aber Gewissenskonflikte haben, müssen Zivildienst leisten und unterstützen unsere Gesellschaft dort, wo die Gesellschaft Zivis gerade am dringendsten benötigt. 

Alleine in Winterthur sind momentan 107 Stellen auf Ziviconnect für Zivildienstleistende ausgeschrieben. Schulvorsteherin Martina Blum sagt, in Winterthurer Schulen stellen Zivis sogar eine Unterstützung, «die in dieser Form nicht ersetzbar wäre.» Man kriegt den Eindruck: Zivis sind in Winterthur ziemlich gefragt. Wenn es nach Stände- und Nationalrat geht, soll diese Unterstützung wegfallen.

Symbolbild Alter:Pflegeheim
Alle Einsatzbetriebe müssen sich an strenge Aufnahmebedingungen halten, um anerkannt zu werden. So dürfen private Betriebe zum Beispiel nicht gewinnorientiert sein und müssen einen gemeinnützigen Wert haben. (Bild: Bundesamt für Zivildienst, ZIVI)

Das Parlament überwies Mitte Juni eine Motion, mit welcher der Bundesrat den Auftrag erhielt, so schnell wie möglich das Modell der Dienstpflicht zu ändern und die Sicherheitsdienstpflicht einzuführen. Damit sollen die Personalprobleme in Armee und Zivilschutz behoben werden. Das Opfer: der Zivildienst. Er soll möglichst rasch mit dem Zivilschutz zum sogenannten Katastrophenschutz fusioniert werden. 

Befürwortende argumentieren damit, dass es zu wenige Personen in Armee und Zivilschutz habe, um verteidigungsfähig zu bleiben. Gegner:innen argumentieren, dass der Zivildienst erheblich geschädigt werde. Die Tätigkeitsbereiche würden auf Pflege und Betreuung sowie Umwelt- und Naturschutz begrenzt. Ausserdem würden die Diensttage verkürzt, was die bereits knappen Personalressourcen noch mehr schmälern würde. Der Zivildienst werde faktisch abgeschafft, äussern sich linke Parteien. Eine definitive Antwort des Bundesrates zur Motion ist Ende 2027 fällig.

BERN, 18.6.2025 - Bundesrat und Verteidigungsminister  Martin Pfister (Mitte) bei seinem ersten Auftritt im Ständerat an der Sommersession 2025.

Foto: Parlamentsdienste / Pascal Mora
Die initialen Ausgaben für die Zusammenlegung von Zivildienst und -schutz belaufen sich auf 900 Millionen Franken. Und Bundesrat Martin Pfister (Mitte) ergänzte: «Dazu kommen jährlich wiederkehrende Kosten von etwa 900 Millionen Franken.» (Bild: Parlamentsdienste 3003 Bern / Pascal Mora)

Alleine 27 Zivis seien momentan in Winterthurer Schulen aktiv, schreibt Martina Blum, Stadträtin der Grünen, auf Anfrage. «In fast allen Schulen in Winterthur übernehmen Zivildienstleistende eine wichtige, unterstützende Rolle.» Zivis seien im aktuellen System ein deutlicher Mehrwert.

Auch in der Brühlgut Stiftung sind Zivildienstleistende aktiv. «Die Änderungen machen wenig Freude. Unsere Chancen auf einen Zivi sinken so», sagt Geschäftsführer Andreas Paintner. Die Brühlgut Stiftung fördert und unterstützt Menschen mit Beeinträchtigung, mit betreuten Wohn- und Arbeitsplätzen in Winterthur, wie sie auf ihrer Website schreibt. Momentan beschäftigt sie zwei Zivildienstleistende. Sie seien ein wichtiger Teil in verschiedenen Bereichen der Stiftung. In der Betreuung bräuchten die Bewohner mehr Kontinuität als die kurzen Einsätze der Zivildienstleistenden lieferten, aber in Bereichen wie Technik und Gastro deckten sie einen Teil der Stellenprozente. «Unser Betrieb geht nicht unter ohne Zivildienstleistende, aber es würde eine Lücke reissen», sagt Paintner.

«Zivildienstleistende stellen eine wertvolle Unterstützung für Kinder, Klassen, Lehrpersonen dar, die in dieser Form nicht ersetzbar wäre.»

Martina Blum, Stadträtin der Grünen, Schulvorsteherin

Auch die Winterthurer Schulen müssten keine Dienstleistungen abbauen ohne Zivildienstleistende, schreibt Martina Blum. «Ein Teil der Arbeit könnte durch Klassenassistenzen übernommen werden», dies sei aber mit zusätzlichen Kosten für die Schulen verbunden. «Zivildienstleistende stellen eine wertvolle Unterstützung für Kinder, Klassen, Lehrpersonen dar, die in dieser Form nicht ersetzbar wäre.»

Aus Sicht der gesamten Branche sieht Andreas Paintner das Problem des Fachkräftemangels. Diesen würde man damit verschärfen. «Ich verstehe die Idee nicht, dass wir das Militär noch stärken müssen.» Der Zivildienst sei eine Möglichkeit, junge Menschen für die Arbeit mit beeinträchtigten Personen zu sensibilisieren und zu begeistern. Immer wieder käme es vor, dass Zivildienstleistende sich nach dem Einsatz für einen Job in diesem Bereich bewerben würden. «Im Sinne des Inklusionsgedankens wäre das ein Verlust für unsere Gesellschaft.»

Symbolbild Zivi
Im Jahr 2024 wurden 6’799 Personen zum Zivildienst zugelassen, laut Bundesamt für Zivildienst. (Bild: Bundesamt für Zivildienst, ZIVI)

Stadträtin Martina Blum beobachtet ähnliches in den Winterthurer Schulen. Es komme immer wieder vor, dass Zivis nach ihrem Einsatz eine Ausbildung zur Lehrperson beginnen und später an diesen Schulen arbeiten. «Dies ist nicht nur für die Schulen selbst wichtig, sondern auch für das Verständnis schulischer Arbeit in einem breiteren Teil der Gesellschaft.»

Die Befürworter:innen im Ständerat rechneten in der Sommersession damit, dass ihre Motion frühestens in drei bis fünf Jahren umgesetzt werden könne. «Wenn wir jetzt Ja sagen und dem Bundesrat damit ein Zeichen geben, kann die Motion frühestens in drei bis fünf Jahren umgesetzt werden. Es wird noch eine Volksabstimmung geben, eine Vernehmlassung und so weiter,» sagte Ständerat Werner Salzmann (SVP) in seinem Plädoyer. Zumindest die nächsten Jahre also dürfen die Winterthurer Schulen und die Brühlgut Stiftung noch auf Zivildienstleistende vertrauen. 

WNTI-Portrait-Mattia-Mayer

Er studiert Kommunikation und Medien an der ZHAW und sammelt bei WNTI zwei Monate Arbeitserfahrung. «Um herauszufinden, wie es um den Journalismus wirklich steht», sagt er. Hoffentlich können wir ihm zeigen, dass es der Branche besser geht, als ihr nachgesagt wird. 

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