Stadtrat lehnt Schuldeninitiative ab ‒ «haarsträubend», findet die FDP

Die Exekutive will von der Initiative «Ja zu weniger Schulden» nichts wissen. Die Zielvorgabe sei unrealistisch und übersehe eine wichtige Einnahme der Stadt.

Blick von der Weinbergstrasse Wolfensberg auf das Stadtzentrum von Winterthur
Winterthur steht vor einem Schuldenberg ‒ oder einem Hügelchen, je nachdem, wie man rechnet. (Bild: wintipix.com)

Über eine Milliarde Franken beträgt die Nettoschuld der Stadt Winterthur. Das ist ungefähr so viel Geld, wie die Stadt in zwei Jahren über Steuern wieder einnimmt. «Zu viel», wie die FDP findet. Sie hat im August die Initiative «Ja zu weniger Schulden» eingereicht, die eine Halbierung dieser Schuldenlast fordert. Und: Natürlich dürfen für den Schuldenabbau die Steuern nicht erhöht werden.

Nun hat der Stadtrat die Initiative geprüft und beantragt dem Parlament, sie für gültig zu erklären. Die Initiative selbst lehnt er aber ab. Der Schuldenberg, den die FDP sieht, ist in den Augen des Stadtrats nämlich höchstens ein sanfter Hügel. Woher kommt dieser Wahrnehmungsunterschied?

Der Stadtrat argumentiert, Steuern seien nicht die einzigen Einnahmen der Stadt. Sie erhebe auch Gebühren. Paradebeispiele für gebührenfinanzierte Betriebe sind etwa die Kehrichtverbrennung oder die Ara Hard. Besonders, weil dort nicht nur Winterthurer:innen zahlen, um ihren Abfall zu entsorgen oder Abwasser reinigen zu lassen, sondern auch viele umliegende Gemeinden.

Diese Einnahmen über Gebühren seien in der Zielvorgabe der FDP nicht eingepreist. Sie fordert, die Nettoschulden sollen «maximal das Einfache der ordentlichen Steuern im Rechnungsjahr» betragen. Stelle man der Nettoschuld die Gesamterlöse der Stadt, also Steuern und Gebühren, gegenüber, betrage der «Nettoverschuldungsquotient» noch 105 Prozent, also etwas mehr als das Einfache des jährlichen Steuerertrags.

FDP-Parteipräsident Raphael Tobler lässt dieses Argument nicht gelten. In der Realität sei untrennbar, welche Investition über Gebühren und welche über Steuern finanziert seien. Und beim Nettoverschuldungsquotienten handle es sich um eine vielfach verwendete Finanzkennzahl aus dem Rechnungsmodell des Kantons.

Kaspar Bopp freut sich auf die Nominationsversammlung. Christa Meier (rechts) sagte, sie sei motiviert und habe grosse Lust, an ihren Projekten dranzubleiben. (Bild: Maria Wyler)
Finanzvorsteher Kaspar Bopp sagt, auch ein weniger harter Sparkurs wäre falsch.

«Grundsätzlich kann man dieses Ziel vorgeben, vollständiger wäre aber, die gesamten Erträge zu berücksichtigen», sagt Reto Föllmi. Die Initiative, so der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, sei wohl eher gedacht, um eine gewisse Disziplin in die Ausgabenpolitik der Stadt zu bringen.

Eine Disziplin, die laut Stadtrat Kaspar Bopp (SP) längst vorhanden ist. Die Ablehnung der Initiative wird dem Parlament ohne Gegenvorschlag beantragt. Hätte es über einen Gegenvorschlag nicht einen Mittelweg, etwa einen milderen Sparkurs gegeben? «Aus Sicht des Stadtrats wäre auch das falsch», sagt Finanzvorsteher Bopp. Bei den laufenden Ausgaben besteht wenig Spielraum, Kürzungen würden Kultur, Sport oder die familienergänzende Kinderbetreuung empfindlich treffen. Einsparungen bei den Investitionen sieht er ebenfalls nicht: «Wir versuchen schon heute mit allen Mitteln, so günstig wie möglich zu bauen.»

Die links-grüne Stadtregierung verzichte bewusst auf verbindliche Leitplanken für nachhaltige Stadtfinanzen, schreibt die FDP in einer Medienmitteilung zur Haltung des Stadtrats. Für die bürgerliche Partei ist der Nettoverschuldungsquotient die richtige Zielgrösse: «Steigen die Steuereinnahmen durch zusätzliche Arbeitsplätze und neue Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, reduziert sich der notwendige Schuldenabbau automatisch.» 

Das stimme, sagt Kaspar Bopp. Dafür würden bei einem Bevölkerungszuwachs aber auch automatisch zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur nötig. Für die wiederum Schulden gemacht werden müssten.

Natürlich mache es Sinn, sich für langfristige Investitionen zu verschulden. «Aber am Ende soll jede Generation ihre eigenen Ausgaben tragen», fasst HSG-Professor Reto Föllmi das Mantra beim Schuldenmachen zusammen. Dem würden Stadtrat und FDP zustimmen. Auslegungssache ist, wie hoch die Schulden am Ende sein dürfen.

Die Initiative liegt nun beim Stadtparlament, das eine Abstimmungsempfehlung und einen Gegenvorschlag formulieren kann. Danach kommt das Anliegen an die Urne.

WNTI-Portrait-Tizian-Schoeni

Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.

Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.

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