Die Stadt, das Velo und wir

In Winterthur kam es in nur zwei Tagen zu sechs Velounfällen, eine Frau verstarb. Wie sicher ist Velofahren in der Velostadt?

Veloständer am Bahnhof Winterthur
Winti ist unter den grossen Velostädten seit Jahren auf Platz eins. (Bild: Nina Schneider)

Vor einer Woche meldete die Stadtpolizei, dass es in nur zwei Tagen zu sechs Velounfällen mit sieben Verletzten kam. Unter anderem kollidierten an der Rudolfstrasse zwei Velos, wobei sich eine 72-jährige Frau schwer am Kopf verletzte. Am Donnerstag kam die Medienmitteilung, dass die Frau an den Folgen des Unfalls im Spital verstarb. Die Polizei ruft auf zu besonderer Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme im Strassenverkehr.

Nach diesen Unfall-intensiven Tagen könnte man davon ausgehen, dass es in Winterthur besonders gefährlich ist, das Velo zu satteln. Doch laut der neuesten Strassenverkehrsunfall-Statistik der Stadtpolizei gab es 2024 insgesamt 122 verunfallte Velo- und E-Bikefahrer:innen in Winterthur – ein Rückgang gegenüber den Vorjahren. Seit 2019 sind es jedes Jahr weniger Unfälle. Angesichts des wachsenden Verkehrsaufkommens sei das ein «bemerkenswertes Ergebnis», sagt Polizeisprecher Michael Wirz gegenüber dem Landboten.

Winterthur gilt als die Velostadt schlechthin. Seit Jahren belegt sie im Veloranking von Prix Velo unter den sechs grossen Städten der Schweiz den ersten Platz, während Zürich in diesem Jahr das Schlusslicht bildet. In die Bewertung fliessen Bereiche wie Sicherheit, Verkehrsklima, Komfort oder Wegnetz.

Wenn man die Unfallzahlen ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl setzt, zeigt sich: In Winterthur passieren mit etwa 100 Velounfällen pro 100'000 Einwohner:innen rund 13 Prozent weniger Unfälle als in Zürich.

«Viele sind sich ihrer Position als schwächste Verkehrsteilnehmende nicht bewusst und kennen die Verkehrsregeln nicht.»

Erik, Velokurier

Doch frage ich mich, was die Bevölkerung denkt und habe für WNTI vier Menschen auf ihrem Velo angehalten und sie nach ihrer Meinung befragt. Das Sicherheitsgefühl unter Velofahrenden in Winterthur scheint relativ hoch zu sein, so bewerteten alle die Velosicherheit in der Stadt mit mindestens acht von zehn Punkten.

Marianne fährt das ganze Jahr über Velo. Sie beobachte im Frühling vermehrt unsichere Lenkende auf den Strassen, die kaum mit den Verkehrsregeln vertraut seien. Kritisch sieht sie vor allem das Verhalten in Kreiseln – sowohl bei Auto- als auch bei Velofahrenden.

Velos in Grüze im Kreisel
Richtig als Velo ist, im Kreisel in der Mitte zu fahren. (Bild: Nina Schneider)

Erik strampelt als Velokurier rund 600 Kilometer pro Monat ab. Er fühlt sich sehr sicher auf den Winterthurer Strassen und sieht die Velofahrenden selbst als grösste Gefahrenquelle: «Viele sind sich ihrer Position als schwächste Verkehrsteilnehmende nicht bewusst und kennen die Verkehrsregeln nicht», sagt er. Ginge es nach ihm, müssten alle eine Veloprüfung absolvieren.

Martin, der täglich mit dem Velo durch die Stadt fährt, sieht besonders bei Einfahrten Gefahr, wie er sagt. «Weil Autofahrende dort oft nicht mit Velos rechnen».

Claudia, die mit ihrem Kind im Anhänger durch ganz Winterthur radelt, zeigt sich insgesamt zufrieden. «Natürlich könnte es für Velos immer noch besser sein», sagt sie, «aber die Politik ist auf gutem Kurs.»

Am Ende des Tages bleibt das Velo das schwächste Glied im Strassenverkehr. Doch Winti verteidigt ihren Ruf als Velostadt und wir bleiben zuversichtlich, dass sich solche tragischen Ereignisse wie in den vergangenen Wochen minimieren.

WNTI-Portrait-Nina-Schneider

Fast wäre Nina ausgewandert und würde heute vermutlich in einer Londoner Szene-Bar Cocktails mischen. Zum Glück machte ihr die Pandemie einen Strich durch die Rechnung – den sie schlussendlich nie bereute. Sie hat ein Praktikum bei tsüri hinter sich und bald auch das Journalismus-Studium an der ZHAW.

In sentimentalen Momenten sagt sie: «Winterthur ist der erste Ort, an dem ich mich richtig zuhause fühle.» Vermutlich ist es dieses Gefühl, das sie zu einer Lokaljournalistin durch und durch macht.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Martin Frischknecht
14. April 2025 um 08:11

Das schwächste Glied

Liebe Nina, der Beitrag über den Veloverkehr ist ein stimmiger Auftakt für WNTI – gratuliere! Wo ich widersprechen möchte, ist die Darstellung des Velos als schwächstem Glied des Strassenverkehrs. Das sind eindeutig wir/die Fussgänger. Deren Schutz gerät durch rücksichtslose Velofahrer_innen, die sich nicht mehr an Verkehrsregeln halten, zunehmend unter die Räder. Gerade auf der Rudolfstrasse, wo sich dieser schreckliche Unfall ereignete, stand im letzten Jahr während der Bauarbeiten ein Fahrverbotsschild. Zusätzlich wurden von der Stadt auch noch Tafeln aufgestellt mit der Aufforderung, Velofahrer_innen sollten absteigen und schieben. Nach meiner Einschätzung haben sich nicht die Hälfte der Zweiradfahrer_innen daran gehalten, und die Fehlbaren waren längst nicht bloss junge, übermütige Radler.

Rudolf Meyer
15. April 2025 um 07:35

Rudolfstrasse als Slalomstrecke

Der Umgang mit Freier Fahrt ist eine grosse Herausforderung, zum Beispiel zu Stosszeiten auf der Rudolfstrasse! Da sausen die Biker geradeaus mit bis zu 40 km/h durch die Flaniermeile, sogar von hinten und mit wenig Abstand. Wir zu Fuss Gehende dienen dabei als hemmende Slalompfosten. Wehe, wenn wir uns spontan umwenden und einen Schritt beiseite tun, es könnte todesgefährlich werden. Auch auf dem Zweirad findet das Alltagstempo seinen Ausdruck. Nun gibt es zwei Möglichkeiten der Abhilfe: leider wieder baulich getrennte Fahrbahn und Fussgängerzone mit Fahrverbot. Oder wie es ein Mitbetroffener kürzlich auf der Wülflinger Überführung vorschlug: anstelle von Menschen pflanzliche Hindernisse schaffen. Die ganze Freiheitsfrage lässt sich auch auf unsere Zivilisation übertragen! Sind wir noch fähig für ein Miteinander oder spielen wir rücksichtslos Opfer unseres eigenen Getriebenseins? Es könnte doch weit anders zu- und hergehen, geteilte Freiheit ist doppelte Freiheit!

wintifrosch
17. April 2025 um 08:11

Hoffen auf die nächste Sanierung vom Bahnhof

Es ist kein Zufall, dass dieser Beitrag die Rudolfstrasse fokussiert. Die Planer der eben abgeschlossenen Umgestaltung haben waghalsige Lösungen gewählt, längs der Rudolfstrasse und in allen drei Unterführungen. Wahrscheinlich braucht es noch mehr tödliche Unfälle: die Politik korrigiert nicht verantwortungsvoll, sondern nur dann, wenn die Statistik dies rechtfertigt. Ein Hoffnungsschimmer: die Planung der nächsten Sanierungsetappe des Bahnhof-Areals hat bereits begonnen. Vielleicht können Fussgänger- und Velofahrer:innen in dieser Planungsrunde weitere Fehler vermeiden. Und gleichzeitig die aktuellen Probleme beheben lassen. Die Vorzeichen stehen gut.

Peter Oertel
22. April 2025 um 12:31

Sichere Fahrt per Velo

Es ist wahrscheinlich etwas überraschend, aber mir hilft auf dem Velo selbstbewusstes Auftreten auch bei grösserer Unsicherheit. Per Velo fährt man idealerweise mit ziemlich Abstand vom Strassenrand - etwa da, wo die Strasse von den rechten Rädern der Autos etwas abgenützter ist: Autofahrende bremsen eher, wenn sie früher sehen, dass sie keinen Platz haben. Man fährt im Kreisel - und schon 10..15 m davor - in der Mitte der Fahrbahn: mit Blick zurück und ggf. Handzeichen! Man spurt beim Linksabbiegen rechtzeitig links ein - aber natürlich nicht 2 m vor einer Kühlerhaube! Und man lässt Fussgänger"innen zuvorkommend über den Fussgängerstreifen - tunlichst ebenfalls in der Mitte der Strasse stehend: Wenn der Junge, den ich in der Nähe eines Schulhauses (30-er Zone!) über die Strasse winkte, nicht selbst geschaut hätte, wäre er glatt von dem Trottel hinter mir über den Haufen gefahren worden. Wenn ich so unterwegs bin, mache ich gute Erfahrungen mit den Autofahrer*innen um mich herum.