Sie tanzt sich zur grossen Premiere beim Tanzfestival

Tanzen ist für Laura mehr als Bewegung. Es ist Ausdruck, Teamarbeit und harte Organisation. Mit ihrer Company zeigt sie am Tanzfestival Winterthur, wie viel hinter einer einzigen Aufführung steckt – auf und neben der Bühne.

Feiner Schweiss glänzt auf Lauras Stirn. Mit einem schnellen Wisch streift sie ihn weg, während ihre Stimme den Raum durchschneidet: «One, two.» Der Beat setzt wieder ein, die Bewegungen greifen ineinander. Keine Zeit für Pausen. Seit August steht sie mit ihren Tanzkolleg:innen Paula, Anouk und Timo fast täglich im Proberaum. Jede Geste, jede Haltung, jeder Schritt wird bis zur Perfektion geübt. Zum ersten Mal arbeiten sie an einer Choreografie dieser Grösse: 50 Minuten lang stehen sie bald beim Tanzfestival auf der Bühne. Lange Minuten voll Konzentration, Ausdruck und Präzision. Eine Premiere.

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Laura Schwarz führt mit ihrer Company eine Premiere beim Tanzfestival Winterthur auf. (Bild: Marit Langschwager)

Mit «Sound of Violence» will ihre junge Winterthurer Company «GingerPack Contemporary Dance» ein Thema beleuchten, das oft übersehen wird: häusliche Gewalt. Wie klingen die unverkennbaren Geräusche eines Aufpralls oder eines Schlags? Über eine spezielle Motion-Capture-Technologie machen die Tänzer:innen Bewegungen akustisch erfahrbar. «Wir wollen Ungehörtes hörbar und Ungesehenes sichtbar machen», sagt Laura. Es geht ihnen nicht um Schockmomente oder drastische Bilder. Vielmehr soll die Performance aufrütteln und jenen eine Stimme geben, die oft zum Schweigen gezwungen sind. Begleitet wird die Aufführung von Fachpersonen aus dem Frauenhaus, die das Thema kontextualisieren und einordnen.

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Die Gruppe bestehend aus Laura, Paula, Anouk und Timo probt fast täglich für die Premiere. (Bild: Marit Langschwager)

Das diesjährige Tanzfestival Winterthur zeigt insgesamt 16 Produktionen in zwei Wochen. Wer ein Stück als Co-Produktion – wie GingerPack – einreichen will, muss gewisse Voraussetzungen erfüllen: Ein klarer Bezug zur Stadt ist Pflicht, ebenso frühere Auftritte in kleineren Festivalformaten, den sogenannten Intros. Bereits im Januar begannen Laura und ihre Kollegin Paula mit der Konzeption. «Allein in die Proben sind sicher über 100 Stunden geflossen», sagt die 27-Jährige.

Doch damit nicht genug. Auch Organisation und Finanzierung liegen in den Händen der Gruppe. «Es ist wie ein grosses Monopoly-Spiel. Man weiss zu Beginn nie, ob am Schluss genug Geld da ist», sagt Laura mit einem schiefen Lächeln. Immerhin: Für ihre aktuelle Produktion erhielten sie eine Koproduktionsförderung von 13’000 Franken von tanzwinterthur. Der Verein übernimmt unter anderem Fotos und stellt teilweise Proberäume im Tanzort am Gleis und im Theater am Gleis zu Verfügung. Weitere Unterstützung kommt von der Stadt, dem Kanton Zürich, der Stiftung Elisabeth Weber Stiftung sowie von WORM dance. Doch das reiche nicht. Ein Crowdfunding soll nun helfen, die restlichen Probekosten zu decken.

Dass die gebürtige Winterthurerin heute Tänzerin ist, war nicht immer klar. Nach ihrer Ausbildung zur Kauffrau wollte sie mit Zahlen nichts mehr zu tun haben. Heute macht sie die Buchhaltung ihres Tanzvereins selbst. «Schon ironisch, oder?», sagt sie und lacht. Ihre Leidenschaft für das Tanzen begleitet sie seit Kindertagen. Ihre Grossmutter führte eine Ballettschule, mit vier Jahren stand sie zum ersten Mal an der Stange. Mit 22 begann sie ihre Ausbildung in München, als eine der Ältesten in ihrer Klasse. «Ich war die Oma im Jahrgang», sagt die freischaffende Tänzerin, die zudem zum Vorstand des Tanzfestivals gehört. Und trotzdem: Für sie kam der Schritt genau zur richtigen Zeit. Denn wer im Tanz bestehen will, muss früh anfangen, aber vor allem lange durchhalten. Körperliche Anstrengung, emotionale Tiefe und organisatorischer Aufwand gehen dabei Hand in Hand. Doch Laura sei sich sicher: Für sie hat die Leidenschaft zum Tanz kein Ablaufdatum.

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Die Performance braucht nicht nur Kreativität, sondern auch viel Planung und Organisation. (Bild: Marit Langschwager)

Fünf bis sechs Stunden probt die Gruppe täglich. Stoppt erneut die Musik und beginnt von Neuem. Doch wenn der Moment auf der Bühne des Tanzfestivals endlich kommt, das Licht angeht und das Publikum still wird, weiss Laura: Jede Stunde und jede Schweissperle hat sich gelohnt. «Mir ist am wichtigsten, dass wir den Auftritt als Team geniessen und dahinter stehen, was wir erarbeitet haben.»

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Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitet als Redaktorin im SRF Newsroom und war unter anderem bei der NZZ. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.

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