Runter mit den Steuern!?

Dieser Satz reicht eigentlich, um zu erklären, worüber wir am 18. Mai abstimmen. Und nicht viel länger wäre die Änderung, die das kantonale Steuergesetz bräuchte. Statt 7 Prozent sollen dort bei der Gewinnsteuer für Unternehmen künftig 6 stehen. Aber wem nützt sie – und wem nicht?

Abstellgleis Bahnhof Winterthur mit Blick auf den Roten Turm
Der rote Turm beherbergt Ableger nationaler Konzerne, etwa der Agrargenossenschaft Fenaco oder mit dem Immobiliendienstleisters Wincasa einen Teil der Implenia-Gruppe. Aber auch einer der grössten Aluminiumproduzenten weltweit, Aluminium Bahrain (Alba), ist Mieter. (Bild: wintipix.com)

Die Vorlage sei «eine der bedeutendsten», die Kantonsrat Marcel Suter (SVP) in dieser Legislatur behandelt. Das sagte er zu Beginn der Kantonsratsdebatte im Mai letzten Jahres. Seine Einschätzung teilen wohl die meisten Ratsmitglieder – und ganz sicher die Stadt Winterthur.

Denn für Winti hätte die Senkung substanzielle Folgen. Hier sitzen – anders als in ländlichen Bezirken – viele Unternehmen, die hohe Gewinne ausweisen: Banken und Versicherungen, Kanzleien und globale Handelsunternehmen. Die Gewinnsteuer machte 2019 (ja, es sind die aktuellsten Zahlen) im Bezirk Winterthur deshalb knapp 17 Prozent des gesamten Steuerertrages von juristischen Personen aus. Zum Vergleich: Beim Nachbarn Andelfingen waren es nur fünf Prozent.

Konkret rechnet das Finanzdepartement der Stadt mit Ausfällen von jährlich zehn Millionen Franken. Der Stadtrat wehrte sich deshalb in der Vernehmlassung gegen die Senkung. Zwar sind verschiedene Massnahmen vorgesehen, um «besonders betroffene» Gemeinden zu entlasten. Doch diese seien nicht ausreichend, argumentierte der Stadtrat. Was zusätzlich sauer aufstösst: Eine parallele Erhöhung der Dividendenbesteuerung, wie sie der Regierungsrat ursprünglich vorgeschlagen hatte und die Teile der Gewinnsteuersenkung kompensiert hätte, kippten die Kantonsrät:innen aus der Vorlage.

Im Rat sieht eine bürgerliche Mehrheit den Kanton im Steuerwettbewerb im Hintertreffen und möchte Plätze gutmachen. Die linke Minderheit fürchtet Ausfälle in der Grössenordnung von 350 Millionen Franken pro Jahr. Sie ergriff das Kantonsratsreferendum.

Widerstand regte sich auch in der Stadt Zürich: Das Stadtparlament beschloss das Gemeindereferendum. Und sogar ein Volksreferendum kam zustande, wofür mindestens 3000 Unterschriften nötig waren.

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War schon mal besser dran: Der Kanton Zürich rangiert punkto Gesamtsteuerbelastung für Unternehmen mittlerweile auf dem zweitletzten Platz. Die Punkte zeigen die Belastung von 2015, die Balken jene von 2021/22. (Bild: Wirksamkeitsbericht Finanzausgleich 2020-2025, Bundesrat)

Nun dürfte sich die eine oder andere Gewerbetreibende fragen, ob sie bei der Annahme Ende Jahr mit einem saftigen Steuererlass rechnen darf. Für die meisten lautet die kurze Antwort: Nein. Laut den aktuellsten Zahlen des Kantons weisen 60 Prozent der Unternehmen nämlich gar keinen Gewinn aus – ergo zahlen sie auch keine Gewinnsteuern. Dieselbe Zahl nennt die Stadt Winterthur. Noch extremer ist die Verteilung der Erträge: 82 Prozent der kantonalen Gewinnsteuer stammen von zwei Prozent der Unternehmen.

Alle grossen Wirtschaftsverbände, auch der Winterthurer KMU-Verband und die Handelskammer, stellen sich hinter die Vorlage. «Es geht um ein Zeichen», sagt KMU-Verbandspräsidentin Désirée Schiess (Mitglied unseres Beirats, Red.). KMU seien um jede Entlastung froh, auch wenn sie klein sei. Bei all den Gebühren und Kosten, die heute auf das Gewerbe entfielen, müsse auch einmal etwas retour kommen.

Thomas Anwander ist Präsident der Handelskammer und Kantonsrat. Die Befürchtung des Mitte-Politikers: Weil die Nachbarkantone langsam attraktiver werden, drohe ein schleichender Verlust von Steuersubstrat. «Eine Forschungs- oder Verkaufsabteilung lässt sich leichter verschieben als eine Giesserei», sagte er in der Ratsdebatte.

Der Standort Winterthur ist Stadler zentral wichtig. Es gibt keine Pläne oder Szenarien, wegzuziehen.

Marc Meschenmoser, Leiter Medienstelle Stadler Rail

Wer sich entgegen der Behauptung eines weiteren Winterthurer Kantonsrats nicht verschiebt, ist die Firma Stadler Rail. «Das geht nicht mehr lang und die sind auch weg», sagte René Isler (SVP) in derselben Sitzung. Die Medienstelle des Zugbauers schreibt darauf: «Wir sind sehr erstaunt über diese Aussage. Sie entspricht in keinster Art und Weise der Realität und ist auch kein Szenario, das irgendwann zur Debatte stand.» Stadler fertigt in Winterthur Drehgestelle für die ganze Gruppe weltweit. Isler erwähnte aber auch den Wegzug des Motorenbauers Wärtsilä – 2020 zügelte dieser nach Frauenfeld. Zur gleichen Zeit ging auch das Medizintechnik-Unternehmen Zimmer Biomet. Steuerliche Gründe seien bei letzterem «Teil des Gesamtpakets» gewesen, hiess es damals im Landboten.

Wie wichtig Steuerattraktivität für die Standortwahl eines Unternehmens ist, wurde breit erforscht. Vom Kanton verwendet wird ein Index, der nicht nur die Unternehmenssteuern, sondern auch die Besteuerung von hoch qualifizierten Arbeitskräften misst. Denn wo niemand wohnen will, kann auch niemand arbeiten. Zürich schneidet in diesem Index von allen Schweizer Kantonen am besten ab.

Für die Metropolregion Zürich erstellte Ernst & Young 2022 eine Rangliste. Tiefere Steuern kamen in der Auswertung nicht einmal vor. Und in Winterthur fragt der Standortförderer «House of Winterthur» jedes Jahr nach den wichtigsten Standortfaktoren. «Tiefere Steuern» landete auf dem 12. Rang.

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126 Winterthurer Unternehmen beantworteten die Frage vom «House of Winterthur», welche Faktoren relevant dafür seien, dass sie am Standort Winterthur sind. Die tiefen Steuern rangierten auf Platz 12. (Bild: House of Winterthur)

Trotzdem wandern Unternehmen aus dem Kanton ab. 2022 waren es abzüglich der zugezogenen 137. «Gemessen an den 9000 Neugründungen […] ist dies jedoch gesamthaft betrachtet von untergeordneter Bedeutung. Halt, das habe nicht ich gesagt, sondern die Finanzdirektion!

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Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.

Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.

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