Oktoberfest Winterthur – Mehr Käsespätzle, weniger Haxen
Bayern, Bier, Blasmusik – es ist wieder Oktoberfest. Für die einen ein heiteres Volksfest, für andere ein vorurteilsbehaftetes Gelage. Ein Blick ins Bierzelt.
Wenn zu später Stunde wieder zahlreiche, in Lederhosen und Dirndl gekleidete Menschen durch Gassen der Altstadt Richtung Teuchelweiher ziehen, ist klar: Es ist wieder Oktoberfest. Zumindest in Winti – das Münchner Original endete bereits am 5. Oktober.
Weshalb die Winterthurer Version erst jetzt beginnt? «Es heisst ja Oktoberfest, oder?», sagt Toni Schneider mit einem Schmunzeln. Der ehemalige Verkaufsleiter von Heineken Schweiz hatte grossen Anteil an der Gründung des Winterthurer Oktoberfests. Die Idee hat Bestand – bereits zum 26. Mal wurde letzten Donnerstag der Zapfhahn ins Bierfass gehämmert. Dieses Jahr hatte Polizeikommandant Anjan Sartory die das Vergnügen.
«Aber der Mensch will unter Menschen sein und eine gute Zeit haben. Das Oktoberfest ist eine Plattform dafür»
Matthias Bühler, Mitorganisator Oktoberfest Winterthur
Oktoberfeste sind in der Schweiz beliebt – mindestens 78 werden dieses Jahr ausgerichtet. Die Winterthurer Version sei an jedem Abend praktisch ausverkauft.
Was zieht die in bayerischer Tracht gekleideten Massen Jahr um Jahr in die Reithalle? «Es ist ein Volksfest im wahrsten Sinn. Es können alle mitmachen, niemand wird ausgeschlossen», sagt Schneider. «Ausser Minderjährige natürlich», fügt sein Kollege Matthias Bühler an. Seine Firma Eventcom organisiert neben dem Oktoberfest auch das Public Viewing Wintiarena und das Fonduestübli Wintialp beim Merkurplatz. Auch Bühler sieht den Reiz des Oktoberfests in der Geselligkeit. «Wir isolieren uns immer mehr voneinander», sagt er. «Aber der Mensch will eigentlich unter Menschen sein und eine gute Zeit haben. Das Oktoberfest ist eine Plattform dafür.»
Obwohl jeden Abend knapp tausend Leute die Halle füllen, sei das Oktoberfest kein Selbstläufer. «Du kannst in irgendeiner Turnhalle mit zwei blauweissen Bändern und einer Blaskapelle ein Bier trinken», sagt Bühler. «Wir wollen unseren Gästen aber mehr bieten.» Deshalb sei es nötig, das Konzept jedes Jahr anzupassen und zu erweitern. Das veränderte Trinkverhalten der Besucher:innen erzwinge Veränderungen. Auf Rückmeldungen der Gäste werden dieses Jahr neu neben Masskrügen auch Halbliter angeboten. «In den Anfängen hatten wir zwei Wochen durchgehend offen», sagt Toni Schneider. «Heute macht das finanziell keinen Sinn mehr.» Trotzdem sei der rückläufige Alkoholkonsum natürlich zu begrüssen.
«Die Oberschmelzer, die Stunk machen wollen wir nicht am Oktoberfest»
Toni Schneider, Mitorganisator Oktoberfest Winterthur
Ein Blick auf die Tische der Reithalle zeigt aber auch: die meisten haben ein Mass vor sich. Im Schnitt sei es etwa eine Mass pro Abend und Besucher:in, sagt Schneider. Das erscheint für ein Fest, das im kollektiven Geist vor allem für den Bierkonsum bekannt ist, als wenig. Eine kleine Umfrage unter Besucher:innen bestätigt diesen Eindruck. Er plane etwa vier zu trinken, sagt ein breit gebauter Mann mit Feder im Hut. Sein Freund zielt mit drei ein wenig tiefer. Aber auch die zwei Frauen, die vor dem Foto Point auf ihre Freund:innen warten, schlagen in dieselbe Kerbe. Was sie an das Oktoberfest zieht? «Das Bier», sagt eine. «Aber auch meine Freunde», meint die andere. Sie trauen sich beide zwei Mass zu.
Wo Alkohol fliesst, ist Tumult oft nicht fern. Nicht so aber am Oktoberfest. «Wir haben ein gutes Sicherheitskonzept», sagt Bühler. Benötigt würde es allerdings nur selten. Das Klischee des besoffenen Lederhosenträgers, der nach dem Besuch im Bierzelt zurück Richtung Bahnhof torkle, ärgert ihn. Die meisten ihrer Besucher:innen hätten sich gut im Griff. «Oberschmelzer», die Stunk machen, seien am Oktoberfest in Winterthur nicht erwünscht. Ein Anruf bei der Stadtpolizei bestätigt das. Die Beamten rückten während dem Oktoberfest nicht öfters ausrücken als sonst.
Die grösste Veränderung in den letzten Jahren war die demografische. Was früher reine Männersache war, sei heute gut durchmischt. «Am Anfang gab es nur Bier, eine Weinkarte wäre undenkbar gewesen», sagt Schneider. «Viele Frauen mögen Bier aber gar nicht so sehr». Deshalb gäbe es inzwischen auch Wein und Prosecco. Auch der Anstieg an verkauften Vegi-Gerichten führt Schneider auf den wachsenden Frauenanteil zurück. «Mehr Käsespätzle, weniger Haxen», meint Bühler dazu. Das sei aber nicht immer so gewesen, sagt Schneider. Heute sei das Verhältnis etwa halb-halb.
Ob Frau oder Mann – Was bei einem Spaziergang entlang der Festbänke und der Bühne, auf der die Band «Bayernmän» für Stimmung sorgt, fällt auf: Es wird Tracht getragen. Menschen ohne Dirndl oder Lederhosen bilden eine verschwindend kleine Minderheit. «Wir sind eigentlich der Booster dieser Industrie», sagt Schneider und lacht.
Seba studiert in Winti Journalismus, weiss wie man ein Bier zapft, verbringt seine Wochenenden gerne auf der Schützi und kennt in Winti allerhand spannende Figuren. Seba ist ein Urwinterthurer, aufgewachsen ist er in Veltheim. Nur eines fehlt ihm für den Winti-Ritterschlag: Geboren ist er im Triemli in Zürich.