Was darf da drauf? Kunstkommission interveniert bei Dekoration der Judd-Brunnen
Der Verein Steinberggasse-Metzgasse wollte seine Krippenfiguren ersetzen, die er im Advent auf den Brunnen in der Steinberggasse aufstellen lässt. Aber die Brunnen sind Kunst ‒ und ein Ersatz der Figuren wäre nur mit massiven Auflagen möglich, findet die Kunstkommission der Stadt.
Alle Jahre wieder stehen die hölzernen Krippenfiguren auf den im Winter zugedeckten Brunnen der Steinberggasse. So viele Jahre schon, dass hoffnungsvolle Seufzer in der Stadt ertönten, als der Gewerbeverein Steinberggasse-Metzgasse im Sommer ankündigte, die Figuren auf die kommenden Weihnachten ersetzen zu wollen. Und zwar nicht nur durch neue Schnitzereien ‒ ein Gestaltungswettbewerb sollte es sein. Das Kulturkomitee der SKKG sprach 20’000 Franken (der «Landbote» berichtete), und der Verein freute sich «auf kreative, überraschende und stimmungsvolle Projekte, die unsere Gasse im Winter in ein neues Licht tauchen». Melden könnten sich Kunstschaffende mit Bezug zu Winterthur.
Auf diese lebendige Ankündigung folgte ‒ nichts. Wie aufmerksame Passant:innen bemerkt haben dürften, wachen in der Gasse weiterhin Maria und Josef über ihr Kind ‒ wie schon in den bald 20 Jahren davor. Und auf der Projektwebsite heisst es, das Vorhaben verzögere sich um ein Jahr. Was ist passiert?
Der Verein Steinberggasse-Metzgasse bleibt auf Anfrage vorsichtig. Die Stadt, oder genauer, die Kunstkommission sei involviert, man befinde sich im Austausch, heisst es von Dominique Druey, Inhaber des Spielwarengeschäfts «Jugglux» und Vertreter des Vereins. Was darauf schliessen lässt: So einfach wie sich das die Gewerbler:innen vorgestellt haben, wird die Sache nicht.
«Nach Bekanntwerden der Ausschreibung hat sich das Amt für Kultur von sich aus eingeschaltet und den Verein auf die problematische Ausgangslage hingewiesen», schreibt Amtsleiterin Tanja Scartazzini auf Anfrage. Die drei Brunnen von Donald Judd seien als autonome Skulpturen urheberrechtlich geschützt. Entscheidend, so Scartazzini, sei dabei nicht nur der physische Schutz, sondern auch die Wahrung der künstlerischen Integrität. «Die Brunnen dürfen nicht sichtbar Teil eines neuen Kunstwerks werden oder inhaltlich umgedeutet werden.»
«Die Kommission hat den Verein bereits im Sommer 2025 darauf hingewiesen, dass eine vollständige Verhüllung der Brunnen notwendig ist – sie dürfen insbesondere nicht als Sockel für ein anderes Kunstwerk benutzt werden.»
Tanja Scartazzini, Leiterin Amt für Kultur
Heisst: Sie müssten aus Sicht der Kunstkommission künftig komplett eingehaust werden, sodass die Brunnen gar nicht mehr sichtbar wären. Nach diesem Schuss vor den Bug habe der Verein der Kommission einen schriftlichen Antrag gestellt, die Ausschreibung überarbeitet und den Wettbewerb um ein Jahr verschoben. Sollte es ein konkretes Projekt geben, müsste die Verwaltung es nochmals auf die Rahmenbedingungen prüfen, heisst es aus der Kunstkommission. Wie die Gewerbler:innen mit den enormen Anforderungen umgehen wollen, ist noch unklar. Bescheid aus der Verwaltung erhielten sie am Freitag.
Unbescholtene fragen sich wohl: Weshalb durften dann überhaupt je Krippenfiguren auf den Brunnen stehen? Aus der Kunstkommission heisst es dazu, die Dekoration sei «ausnahmsweise toleriert» gewesen. Dasselbe Gremium hatte die Figuren 2007 bewilligt.
Deutlicher wird Gregor Frehner. Verschiedene Werke des Winterthurer Bildhauers stehen in der Stadt, als Restaurator kümmerte er sich während 20 Jahren um den Erhalt der Judd-Brunnen. «Die Figuren degradieren die Brunnen im Sinne eines Sockels», findet der Künstler. «Das würde sich auch dann nicht ändern, wenn man auf die Brunnen einen Picasso stellen würde.» Schon als die Krippenfiguren das erste Mal gezeigt worden seien, sei das einigen Leuten sauer aufgestossen.
Entspannter sieht es Erwin Schatzmann. Auch seine Werke finden sich in Form von Sitzbänken und Skulpturen in ganz Winterthur wieder, sogar auf einem Kinderspielplatz. «Mich haben die Krippenfiguren nie gestört, aus meiner Sicht war das Ganze einfach praktisch», sagt der Holzbildhauer. Und die Installation sei ja nur temporär. Zudem, so der Künstler, erkenne ein normaler Passant die Brunnen gar nicht mehr als Kunst, wenn sie im Winter abgedeckt seien. «Dann sind sie eben einfach Sockel.» Er fände eine solche Überhöhung einzelner Werke und Künstler falsch: «In meine Kunst werden ständig Löcher gebohrt, um sie zu installieren.»
Damit spielt Schatzmann auf eine frühere Posse um die Judd-Brunnen an: Um die im Winter leeren Tröge vor Littering zu schützen, hatte Stadtwerk 2016 je zehn Löcher in die drei Beton-Ovale bohren lassen, um neue Abdeckungen montieren zu können. Doch die Kunstkommission intervenierte. Es handle sich um eine «nicht wiedergutzumachende Zerstörung», liess sich das Gremium im «Landboten» zitieren. Gregor Frehner rückte damals aus, um den Schaden zu beheben.
Zu Wort meldete sich vor neun Jahren auch die Judd Foundation, die sich aus New York um das kulturelle Erbe des 1994 verstorbenen Künstlers kümmert. Dessen Sohn Flavin liess über den Tages-Anzeiger verlauten: «Jede Veränderung der Werke beeinträchtigt den ursprünglichen Entwurf». Und schob hinterher, er hoffe, die Brunnen würden künftig nur noch als solche verwendet. Na ja.
Bierlen ... (Bild: bildarchiv.winterthur.ch) ... bestricken ... (Bild: bildarchiv.winterthur.ch) ... baden: Bedeutender Teil oder eine nicht willkommene Einmischung in die Kunst? (Bild: bildarchiv.winterthur.ch)
Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.
Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.