Hans-Peter Bärtschi: ein «Rebell und Bewahrer»

«Winti Nova» – sagt dir das was? Unter diesem Namen präsentierte Sulzer Ende der 1980er Jahre die  Überbauungspläne für ihre verlassenen Industrieareale. Der Plan scheiterte. Einer, der von Anfang gegen den Plan war, ist der Winterthurer Architekt Hans-Peter Bärtschi (1950-2022). Ein «Rebell und Bewahrer» sei Bärtschi gewesen, der sein Leben lang für den Erhalt von Winterthurer Industriekultur gekämpft hat. So deutet es bereits der gleichnamige Titel seiner neuen Biografie von Daniel Wehrli an. Beim Lesen dieser Biografie habe ich nur Hans-Peter Bärtschi, sondern auch meine eigene Stadt noch besser kennengelernt.

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Hans-Peter Bärtschi vor dem Kesselhaus. (Bild: zvg)

Hans-Peter Bärtschi wuchs im Quartier Tössfeld auf und ging jeden Tag am Sulzerareal entlang in die Schule. Von da an begleitete ihn die Faszination für Industrie- und Bahnkultur. «Strom kommt nicht einfach aus der Steckdose», pflegte er später immer wieder zu sagen.

Autor Daniel Wehrli wurde per Zufall zu Bärtschis Biografen. Wehrli ist Germanist und unterrichtete jahrelang Deutsch am Büelrain. «Bärtschi war ein Meister darin, Leute für seine Anliegen zu gewinnen», sagt Wehrli. Er muss es wissen, denn Bärtschi überzeugte ihn bereits am Abend des Kennenlernens, dass Wehrli nun sein Biograf sein solle. Aber auch in Bärtschis Leben war die Überzeugung von Verbündeten wichtig, denn:

«Bärtschi führte ein Leben der Einmischungsversuche. Und machte sich dabei nicht nur einen Namen, sondern auch Feinde»

Daniel Wehrli, Autor «Hans-Peter Bärtschi. Rebell und Bewahrer. Biografie»

Bärtschi besuchte in Winterthur die Kantonsschule im Lee und versuchte sich in der Pfadi an antiautoritärer Erziehung. Während des Architekturstudiums begann er sich politisch bei den Maoisten zu engagieren. Wahrscheinlich erhielt Bärtschi wegen dieser Aktivitäten bis in die 1980er Jahre keine grossen Architekturaufträge, obwohl er an der ETH erfolgreich studiert hatte.

Bärtschi machte deshalb jahrelang das, was ihn interessierte: Er beschäftigte sich mit dem Erhalt von Industriebauten, machte Führungen und Ausstellungen, gründete seine Firma Arias und erstellte Dokumentationen, um die Restaurierung von Industriedenkmälern zu ermöglichen. Eine goldene Nase verdiente er sich damit nicht. Das Ehepaar Bärtschi kam nur durch, weil Sylvia Bärtschi den Lebensunterhalt als Lehrerin stemmte. Ein ungewohnt modernes Arrangement für die 1970er Jahre. In den 1980er Jahren zahlten sich Bärtschis Leidenschaften erstmals aus. Er erhielt Aufträge der Stadt Winterthur und erstellte Gutachten für die Spinnerei Hard und das Gaswerk.

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Ein Plan von «Winti Nova». Die Sulzerareale wären komplett neu bebaut heute. (Bild: Hans-Peter Bärtschi. Rebell und Bewahrer Biografie)

Sein grösster Kampf stand aber noch bevor. 1989 präsentierte Sulzer stolz das Projekt «Winti Nova». Ein Graus für Bärtschi, denn Sulzer wollte den Grossteil der Backsteinhallen abreissen. Weder den Lagerplatz noch den Katharina Sulzer Platz würde man mit diesem Plan heute noch wiedererkennen. Bärtschi schaltete sich als Experte in die Diskussion ein, gleichzeitig liefen Abklärungen zur Schutzwürdigkeit des Areals durch seine Firma Arias.

«Bärtschi war nicht für eine Ballenberg-Erhaltung. Ihm war das Gesamtkunstwerk Sulzerareal wichtig. Auch er hätte ein Drittel der Bauten abreissen lassen.»

Daniel Wehrli, Biograf Hans-Peter Bärtschi

Bei Sulzer machte er sich einige Feinde und hatte Arealverbot. «Für Sulzer waren Bärtschis Pläne völlig unverständlich. Sie sahen kein Gesamtareal, sondern ein Wildwuchs an Hallen, die chaotisch über die Jahre gewachsen waren». Bald stiess «Winti Nova» auf massiven Gegenwind: «Das Sulzerareal ist heute weitgehend so, wie es sich Bärtschi vorgestellt hat. Aber nicht nur wegen seines Engagement», erklärt der Biograf Wehrli. Für den Erhalt vom Areal seien die Immobilienkrise, die Sulzers Träume vom grossen Profit zerstörten und der Widerstand von anderen Architekten wichtig gewesen.

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Heute gestaltet sich das Sulzerareal als eine Mischung von alt, neu und Umnutzungen. (Bild: Wintipix)

Das Erbe von Bärtschi sieht Wehrli heute im grossen Bewusstsein, das Winterthur für seine Industriekultur hat: «Anfang der 90er Jahre gab es dieses Bewusstsein noch kaum. Da zählten mehr die Altstadt oder Burgen, Schlösser und Patrizierhäuser». Mit gleichem Elan engagierte sich Bärtschi für den Erhalt der Nagli oder des Lokdepots, wo er jahrelang sein Büro hatte. Nach den neusten Plänen der SBB müsste das Lokdepot heute jedoch weichen (wir berichteten).

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szination Bärtschis galt dem Reisen und Fotografieren. (Bild: zvg)

Nach einem Velounfall 2010 zog sich Bärtschi immer mehr zurück und konzentrierte sich darauf, seinen Nachlass zu organisieren und Nachfolger:innen für all seine Tätigkeiten zu finden. Im ETH-Archiv sind fast 400'000 Bilder Bärtschis zu finden, die er von Industriebauten gemacht hat, aber auch auf seinen Reisen in alle Teile der Welt. «Fest steht, ohne Bärtschi wäre die Schweiz ärmer», schreibt Wehrli am Ende der Biografie. «Nicht weil der ETH-Architekt wichtige Häuser gebaut hätte, sondern weil er wertvolle Bauten vor dem Abriss bewahrte».

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Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.

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