Frauenschwund im Parlament
Eine Leser:in fragte: Wieso sind nach vier Jahren viel weniger Frauen im Parlament? Die Behauptung stimmt nur bedingt, förderte aber eine andere Herausforderung zutage.
In unserem ersten Parlamentsbrief haben wir verschiedene Statistiken publiziert, darunter auch jene mit dem Frauenanteil in den verschiedenen Parteien. Darauf liess uns ein aufmerksamer Leser wissen: Ein Vergleich mit dem Verhältnis zu Beginn der Legislatur und heute sei viel spannender, denn es seien viel mehr Männer nachgerückt als Frauen. Und auch ein Post-it an unserem ehemaligen Schaufenster behauptete das. Aber: stimmts?
Ein kurzer Blick auf die Statistik zeigt: Heute sitzen vier Frauen weniger im Parlament als zu Beginn der Legislatur. Der Frauenanteil ist also um 6.6 Prozent gesunken ‒ es könnte schlimmer sein.
Auch bei den einzelnen Parteien hält sich der Exodus der Frauen in Grenzen. Proportional am meisten verlor die AL ‒weil sie nur zwei Sitze stellt. Beide sind seit dem Rücktritt von Sarah Casutt im Mai 2022 von Männern besetzt. Als einzige Partei brachte die SP mehr Frauen als Männer neu ins Parlament. Auf Roland Kappeler folgte 2023 Katja Hager und jüngst auf den aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Benedikt Zäch Cristina Brunel.
Ist die Post-it-Behauptung also ein Mythos? Klar, der Frauenanteil im Parlament ist tief. Insgesamt rückte achtmal ein Mann auf eine Frau nach. Aber in vier Fällen war es eben auch umgekehrt. Zeit, sich die Wahllisten von 2022 anzuschauen. Sie sind massgebend für den Entscheid, wer auf eine zurückgetretene Parlamentarier:in folgen darf. Das Recht auf den Parlamentssitz fällt nämlich auf diejenige Person, die in den letzten Gesamterneuerungswahlen auf der entsprechenden Liste die nächst meisten Stimmen geholt hat ‒ ausser, sie verzichtet.
Am meisten Sitze hatte die SVP neu zu besetzen. Pascal Werner, der 2023 auf Thomas Wolf nachgerückt war, trat noch innerhalb der Legislatur wieder zurück. Der Wirt des Rössli in Seen sei beruflich zu fest gefordert gewesen, sagte er gegenüber dem «Landboten». Auf der Liste der Volkspartei nahmen jedoch fast alle Personen das ihnen angebotene Amt an, nur die Kantonsrät:innen Susanna Lisibach und René Isler sowie Franco Albanese, der bereits 2010 bis 2019 im Parlament gesessen hatte, verzichteten.
Anders bei der GLP: Für drei Zurückgetretene mussten die Grünliberalen insgesamt ganze zwölf Personen auf ihrer Liste überspringen, bis Ersatz gefunden war, der auch wollte. Das neueste Parlamentsmitglied der Partei heisst Lukas Rupper ‒ der Volkswirtschaftler lag bei den Wahlen auf dem 23. Listenplatz.
Besonders auffällig bei den Sitzverzichten ist: 24 Mal wollten Frauen das Amt nicht antreten, verglichen mit nur 13 Männern, die sich gegen den Platz im Parlament entschieden. Bei fast allen Parteien, die Sitzverzichte zu verzeichnen hatten, wurden in den Listen mehr Frauen als Männer übersprungen. Was sind die Gründe? Wir haben alle 34 Personen angefragt, die auf einen Platz verzichtet haben. Fast zwei Drittel antworteten:
Am häufigsten wird der Beruf als Grund genannt, insbesondere von Frauen. «Muss man sich zwischen einer politischen und einer beruflichen Karriere entscheiden, wählen Frauen tendenziell öfter den Beruf – aufgrund der besseren Planbarkeit und des besseren Einkommens», sagt Sarah Bütikofer. Die Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Beruf, parlamentarischer Arbeit und Familie müssten stimmen. Die Politikwissenschaftlerin nennt die Kinderbetreuung, die Möglichkeit zur digitalen Sitzungsteilnahme oder familienfreundliche Sitzungszeiten als Beispiele.
«Ich befand mich mitten in einer CAS-Weiterbildung. Zudem spiele und singe ich bei zwei Musikgruppen.»
Sibylle Kurtz, Grüne, Listenplatz 24
Etwas Kaffeesatzlesen sei bei solch kleinen Statistiken jedoch immer dabei, sagt Bütikofer. Sie könne sich aber gut vorstellen, dass es in anderen Gemeindeparlamenten ähnlich aussehe.
Besser als jede Auswertung ist das aktive Wählen ‒ der Post-it-Schreiber:in empfehle ich ausführliches Panaschieren. So kann sich jede Wähler:in einen passenden Frauenanteil zusammenstellen, ohne politische Verzerrung in Kauf nehmen zu müssen.
Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.
Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.