Endlich Medea – Das Theater Winterthur eröffnet neu
Nach seiner Sanierung für 38 Millionen Franken glänzt das Stadttheater wieder wie bei seiner Eröffnung 1979. Aber auch auf der Bühne ist manches anders. Ein Gespräch mit der Gesamtleiterin Bettina Durrer und Programmleiter Thomas Guglielmetti.
Frau Durrer, am Samstag wurde das Theater Winterthur nach über einem Jahr Bauzeit wiedereröffnet. Was ist neu?
Bettina Durrer: Erst einmal ganz viel Veranstaltungstechnik. Zum Beispiel wurden die Handkonterzüge durch vollautomatisierte Bühnenzüge ersetzt. Neu lässt sich alles, was sich auf der Bühne hebt und senkt, an einem zentralen Schaltpult bedienen. Höchste Zeit, denn das Bedienen der Handzüge wird den Lernenden in der Veranstaltungstechnik heute gar nicht mehr beigebracht.
Thomas Guglielmetti: Dafür hat unser Lernender das Steuerpult wohl am besten im Griff. Er hat für das Theaterfest am letzten Samstag ein sogenanntes «Zugstangenballet» programmiert, bei dem sich die verschiedenen Seilzüge in einer Choreografie heben und senken.
Durrer: Auch beim Licht, dem Ton und der Videotechnik ist der neue Standard eine Weiterentwicklung.
Was davon bemerken die Zuschauer:innen?
Guglielmetti: Der neue Vorhang öffnet sich jetzt absolut geräuschlos, das war früher anders. Jetzt müssen die Leute nach vorne schauen, damit sie merken, dass das Stück beginnt (schmunzelt).
Durrer: Die frisch bezogenen Sitze dürften auffallen, auch die Akustik im Saal wurde verbessert. Zudem haben wir neue Lifte. Die Garderobe im UG, die neuen barrierefreien WCs, der Haupteingang zum Saal und sogar die Hinterbühne, auf der wir Plätze für 200 Personen aufbauen können, sind jetzt per Rollstuhl einfach erreichbar. Das Foyer erhielt eine energetische Dämmung und einen Luftschleier beim Eingang. Und dann gab es noch sehr viel «gestalterisches Auffrischen».
Die Hightech-Architektur des Gebäudes war unter Winterthurer:innen schon immer kontrovers. Seit 2012 ist der Bau von Frank Krayenbühl im überkommunalen Inventar, die Sanierung geschah in enger Absprache mit der Denkmalpflege. Was ist Ihre ganz persönliche Meinung zum Haus?
Guglielmetti: Ich bin ein Fan. Mit bestimmten Lichtstimmungen, gerade jetzt im Herbst, ist es grossartig, wie sich das Haus inszeniert. Als vor 15 Jahren die Stelle als Programmleiter ausgeschrieben war, schrieb mir ein Freund: «Dein Lieblingstheater ist ausgeschrieben!» Damals habe ich es noch nicht gewusst, aber es ist das beste Gastspielhaus der Schweiz. Es kann am meisten und hat ein grosszügiges Foyer ‒ eine tolle Planung. In Basel zum Beispiel brauchte es einen riesigen Eingriff ins Gebäude, um den Raum transparenter und zugänglicher zu machen.
Während des Baus sind Sie ins Kirchgemeindehaus an der Liebestrasse umgezogen, ein Teil des Materials ging nach Bäretswil. Wie zügelt man ein Theater?
Durrer: Das Umziehen war sicher ein «Hoselupf», wir mussten in nur einer Woche alles aus dem Gebäude schaffen.
Guglielmetti: Ich bin aber überrascht, wie gut das Publikum die Ersatzspielstätte an der Liebestrasse angenommen hat. Wir hatten eine Auslastung von über 80 Prozent. Natürlich gab es dort mehr kleine Formate, zum Beispiel ein Ballett mit nur vier Personen. Dafür sind die Schweisstropfen ins Publikum gespritzt!
Durrer: Das Theater war viel näher bei den Zuschauer:innen. Man musste bei einer Produktion sogar Angst haben, dass einem die Tänzer:innen auf den Schoss fallen! (lacht)
Blickt man auf die Zahlen der Saison 23/24 fällt auf, dass die fremdsprachigen Stücke besonders gut laufen. Auch in der aktuellen Spielzeit finden sich «Le Comte de Monte-Cristo», «Dr. Jekyll and Mr. Hyde» oder «War of the Worlds».
Guglielmetti: Das ist wegen der Schulklassen, die dann gerne kommen. Das bietet sonst kein anderes Haus in der Region mehr an. Ich achte immer darauf, dass wir ein paar Inszenierungen haben, die auch in der Schulliteratur vorkommen.
Die Auslastung in der Sparte Schauspiel lag in der Saison 23/24 allerdings tiefer als im Musiktheater und im Tanz, bei nur 53Prozent. Würden Dürrenmatt, Frisch oder Gotthelf nicht noch mehr Menschen ins Theater locken?
Guglielmetti: Mit dem zeitgenössischen Anspruch, den wir haben, ist es im Schauspiel schwieriger, die Auslastung zu erhöhen. Wir versuchen aber, eine gute Mischung aus neuen Stücken und bekannten Titeln zusammenzustellen. Das Thalia Theater Hamburg ist zum Beispiel mit Shakespeares «Was ihr wollt» zu Gast. Und vom Berliner Ensemble haben wir «Medea», einen griechischen Klassiker, im Programm. Auf speziellen Wunsch von Bettina. (lacht)
Nebst Tanz, Schauspiel, Musiktheater und Kinder- und Jugendtheater gibt es dieses Jahr erstmals eine weitere Sparte, «Performance».
Durrer: In dieser Sparte zeigen wir Produktionen, die artistisch und überraschend daherkommen. Wir wollen damit einen einfachen Zugang zum Theater schaffen und die Bandbreite unseres Angebots erweitern.
Guglielmetti: «Hokuspokus» von der Familie Flöz ist beispielsweise auch für Gehörlose geeignet, weil die Schauspieler:innen ohne Sprechen auskommen. Andere Aufführungen sind Slapstick-haft oder haben eine andere humoristische Herangehensweise.
Ihr Tipp für die kommende Saison?
Guglielmetti: Die «Notte Morricone», unser Saisonauftakt morgen Abend. Das Ballett gemeinsam mit der Filmmusik, live gespielt vom Musikkollegium, wird ein Spektakel. Wenn man das verpasst, ist man selbst schuld!
Durrer: Ich freue mich auf die neue Sparte. Und natürlich auf «Medea». Die habe ich schon vier Mal gesehen. (lacht)
Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.
Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.