Ein «Update» für die kantonale Verfassung – digitale Integrität

Am 30. November stimmt der Kanton Zürich über die Initiative «Für ein Grundrecht auf digitale Integrität» ab. Der Datenschutzbeauftragte Tobias Naef schätzt die Auswirkungen auf Winterthur ein.

Porträt Tobias Naef
Tobias Naef begrüsst die Stärkung des Datenschutzes. (Bild: Gina Folly)

Im letzten Parlamentsbrief haben wir über die Behördeninitiative «Verbot biometrischer Gesichtserkennung» berichtet. Diese Initiative will, dass der Einsatz von maschineller Gesichtserkennung kantonal verboten werden soll. Eines der Argumente gegen die Initiative der GLP war, dass das «Gesetz über die Information und den Datenschutz» (IDG) dies schon regelt. Währenddessen wurde im Kantonsrat schon über eine andere Initiative zu Datensicherheit debattiert. 

Und zwar über die kantonale Initiative «Für ein Grundrecht auf digitale Integrität». Diese kommt – mit einem Gegenvorschlag – am 30. November vor das Stimmvolk. Sofortige Auswirkungen auf die Stadt Winterthur hätte die Initiative nicht, schätzt der städtische Datenschutzbeauftragte Tobias Naef ein. Er kontrolliert und berät die Stadt als unabhängige Stelle in Sachen Datenschutz. «Die Initiative ist ein wichtiger Ausdruck davon, dass wir in einem digitalen Zeitalter leben und die Verfassung ein Update braucht.»

Die Initiative will, dass der Kanton die Daten von Privatpersonen stärker schützt. «Sie stellt Leitlinien für die Zukunft vor», so Naef. Kantonsrat und Regierungsrat empfehlen ein Nein zur Initiative. Grundsätzlich sei das Anliegen der Bevölkerung für genauere Regulierung zu Datenschutz nachvollziehbar. Die Initiative sei aber zu absolut, ausserdem würden die Anliegen schon im neu revidierten IDG, dem Datenschutzgesetz des Bundes und dem Archivgesetz geregelt.

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Videoüberwachung und Datenschutz sind immer wieder Thema. (Symbolbild: Marit Langschwager) (Bild: Marit Langschwager)

«Es würde sich nicht viel ändern», sagt auch Naef. Die Videoüberwachung der Stadt würde Naef nochmals genauer anschauen. Trotzdem sei die Initiative und der Gegenvorschlag eine «willkommene Stärkung des Datenschutzes.» Beim Gegenvorschlag merke man, «dass sich mehr Jurist:innen um den Text gekümmert haben.» Der Kantonsrat empfiehlt den Gegenvorschlag anzunehmen. Die SVP und FDP lehnen ihn ab – er gefährde die Effizienz der Verwaltung und gehöre auf Bundesebene. Der Regierungsrat lehnt diesen auch ab.

Die Initiative führt sechs Forderungen auf, der Gegenvorschlag nimmt einige in präzisierter, aber abgeschwächter Form auf. Die erste Forderung ist das Recht auf Vergessenwerden. Es würde bewirken, dass Privatpersonen verlangen können, dass die eigenen Daten vom Kanton gelöscht werden. Das Löschen von Daten ist zurzeit mit dem Datenschutzgesetz geregelt und obligatorisch, wenn die Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist. «Einige Forderungen der Initiative kennt das Datenschutzrecht schon», sagt Naef. «Jedoch würde mit der Initiative und auch mit dem Gegenvorschlag das Fundament des Datenschutzes gestärkt.» Die Kantonsverfassung, deren Änderung die Initiative fordert, sei wie ein Bauplan. Wie neue Elemente der Initiative, wie das Recht, nicht von einer Maschine beurteilt zu werden, dann wirklich umgesetzt würden, sei schwierig zu sagen.

Das Recht auf ein Offline-Leben soll festhalten, dass ein analoges Leben möglich sein muss. Alle Dienstleistungen des Kantons müssten sowohl digital als auch analog vorhanden sein, dazu gehören unter anderem auch solche von Spitälern, Fachhochschulen, Universitäten, dem Steueramt und der Polizei. Der Gegenvorschlag nimmt diese Forderung auf, macht aber Ausnahmen möglich.

Das Recht auf Informationsfreiheit soll den Druck auf den Kanton erhöhen, dass er Personendaten besser schützt. Dies sei derzeit im Datenschutzgesetz des Bundes geregelt, habe jedoch «so gut wie nie Konsequenzen, wenn es verletzt wird», steht auf der Webseite des Initiativkomitees. Diese Forderung wurde im Gegenvorschlag wörtlich übernommen.

Ein weiteres Anliegen ist das Recht darauf, nicht von einer Maschine beurteilt zu werden. Bewerbungen sollen beim Kanton zum Beispiel nicht nur durch einen Algorithmus sortiert werden. Im Gegenvorschlag ist diese Forderung insofern aufgenommen, als Entscheide über Grundrechte in der Regel nur von natürlichen Personen getroffen werden dürfen.

Das Recht darauf, nicht überwacht, vermessen und analysiert zu werden, legt fest, dass Daten nicht zur Überwachung verwendet werden dürfen. Hier könnten falsche Erwartungen entstehen, denn der Kanton darf dieses Grundrecht einschränken, wenn es im öffentlichen Interesse ist. Im Gegenvorschlag wird deswegen festgehalten, dass nicht permanent überwacht werden darf. 

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105 Personen haben unsere Umfrage vom Freitag ausgefüllt. Über ein Drittel sind sich bei der Initiative und dem Gegenvorschlag noch nicht sicher. (Grafik: WNTI)

Das Recht auf Schutz vor Verwendung von Daten ohne Zustimmung will regeln, dass der Kanton Daten nur mit Zustimmung erheben darf. Der Kanton bearbeitet Daten nur mit einer gesetzlichen Grundlage. Die Zustimmungs-Regel setzt voraus, dass man eine Wahl hat – die gibt es bei der Verarbeitung von Steuerdaten zum Beispiel nicht. 

Initiiert wurde die Initiative von der Piratenpartei Zürich, unterdessen wird sie von einem eigenen Komitee getragen. Die Initiative will die digitale Integrität als ein neues Grundrecht festhalten – ergänzend zur körperlichen und seelischen Unversehrtheit. In Genf wurde 2023 eine ähnliche Initiative mit 94 Prozent angenommen, in Neuenburg 2024 mit 91 Prozent. Die Forderung nicht ausschliesslich von einer Maschine bewertet zu werden und das Verwenden von Daten nur mit Zustimmung, gibt es nur in Zürich.

Kantonsrat und Regierungsrat lehnen die Initiative ab. Nur die AL unterstützt sie. Der Winterthurer Kantonsrat der Partei, Manuel Sahli, sagte in der Debatte im Kantonsrat am 11. April seinem Votum: «Es soll ein Recht auf Informationssicherheit, ein Recht auf die eigenen Daten geben, und dies auch bei staatlichem Handeln.» 

Der Kantonsrat empfiehlt, den Gegenvorschlag anzunehmen. Die FDP, SVP und der Regierungsrat lehnen in ab.

Kiino Schoch

Kiino kommt nicht nur aus Winterthur, sondern auch aus der Talentschmiede des ZHAW-Studiengangs Kommunikation. Ihr erster Text im Kulturmagazin Coucou war ein Wurf. Umso schöner, entschied sie sich für ein viermonatiges Praktikum bei WNTI.

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