Die Zukunft unseres Bahnhofs
In zehn Jahren werden täglich 156'000 Pendler:innen über den HB Winterthur reisen. Dass er ausgebaut werden muss, ist klar. Aber wie? Mitreden möchte ein Winterthurer Verein. Wie, teilte er gestern mit.
Selbstfahrende Autos, die uns an den Bahnhof Winterthur bringen – von solchen zukunftsweisenden Ideen habe ich am Anlass mit Inputreferaten vom Verein «Unser Bahnhof Winterthur» am Mittwochabend gehört. Die Organisator:innen des Anlasses erhoffen sich Inputs für die Gestaltung unseres Hauptbahnhofes. Denn dass der ausgebaut werden muss, zeigen die nackten Zahlen: Im Jahr 2035 muss der Bahnhof pro Tag 156'000 Pendler:innen bewältigen, von heute 670 Zügen werden es 900 Züge mit Halt am Tag sein. Das ist ein Wachstum von 30 Prozent.
Der Verein «Unser Bahnhof Winterthur» setzt sich seit 2021 dafür ein, dass die Bevölkerung ein Mitspracherecht im Planungsprozess um den Ausbau des Bahnhofes hat. «Wir sehen uns als Kommunikationsplattform», sagt Benno Singer, Co-Präsident des Vereins. Als Spin-Off des Forum Architektur Winterthur vereint der Verein Architektinnen, Verkehrsplaner und Interessierte. Erste Erfolge kann die Organisation schon verbuchen: Nachdem sich die SBB und die Stadt auf zwei mögliche Varianten des Ausbaus geeinigt hatten, brachten Gespräche eine ausgeschlossene Variante wieder in die Prüfung. Die SBB schreibt die Verbreiterung der engen Perrons vor. Und die Stadt möchte dies entweder mit einer Verbreiterung in Richtung Rudolfstrasse oder in Richtung historischem Bahnhofgebäude und Stadttor bewältigen. Zu beiden Varianten gehört ein neuer Kopfbahnhof auf Höhe des Güterschuppens, wo man heute noch im Bolero feiern gehen kann. Der Verein bringt eine andere Variante wieder ins Spiel: Mit einem achten Durchgangsgleis und einem direkten Zugang zum Gleis von der Rudolfstrasse her, könnte man auf den neuen Kopfbahnhof verzichten.
Der Verein Unser Bahnhof Winterthur sieht sich selbst als Quartierverein für den Bahnhof. «Alle sind von seiner Entwicklung betroffen – als Nutzende oder Anwohnende.», wie es Benno Singer ausdrückt. Die Bahnhofsplanung sei deshalb zentral für die Gestaltung von Winterthur. Und es sei wichtig, dass die Bevölkerung sich einbringe.
«Die SBB hat klare Ansprüche. Die Stadt findet das praktisch, sie sagt sich, ‹Aha, die SBB plant für uns.› Aber die SBB plant für sich! Da muss man draufschauen.»
Benno Singer, Co-Präsident Verein Unser Bahnhof Winterthur
Am Anlass des Vereins diese Woche wird klar, dass wir heute Veränderungen in der Mobilität nur bedingt voraussehen können. Wer hätte beispielsweise vor 20 Jahren gedacht, dass E-Trottis die Innenstädte bevölkern und eine neue Art von Mikro-Mobilität ermöglichen? Benno Singer findet deshalb, man könne von den zukunftsgerichteten Referaten der beiden Professoren Kees Christiaanse und Andreas Herrmann etwas lernen für die Planung in Winterthur: «Ich nehme aus der Veranstaltung mit, dass eine resiliente Bahnhofplanung aus unabhängigen Modulen aufgebaut werden soll, die flexibel auf Veränderungen eingehen können». Ein Bahnhof auf dem Wasser wie in Amsterdam oder die Überbauung von Gleisfeldern wie in asiatischen Grossstädten dürften für Winterthur eine Nummer zu gross sein. Für den Wasserbahnhof fehlt bekanntlich auch das Wasser. Aber:
«Es sind immer wieder die gleichen Themen, die beschäftigen. Maximale Mobilität mit minimaler Fläche und Aufwand zu erreichen.»
Benno Singer, Co-Präsident Verein Unser Bahnhof Winterthur
Wie in jeder Stadt sind die Platzverhältnisse in Winterthur um den Bahnhof eng und müssen einer Vielzahl von Bedürfnissen gerecht werden. Im Herbst organisiert der Verein einen weiteren Anlass, an dem konkrete Ideen für den Bahnhof Winterthur diskutiert werden. Zudem wolle man wissen, was man aus der Verwirklichung des letzten Masterplans der Stadt zum Bahnhof lernen könne. Und auch politisch wolle man aktiver werden:«Die Stadtentwicklung und deren Planung muss in der Winterthurer Politik noch wichtiger werden. Wir hoffen, dass die Stadträt:innen sich zukünftig stärker für die Interessen der sechstgrössten Stadt auf Kantons- und Bundesebene einsetzen. Wir planen das in Bezug auf die nächsten Wahlen aufs Tapet zu bringen».
Die Stadt Winterthur muss sich bis 2035 für eine Ausbauvariante entscheiden. Die Eingriffe, egal bei welcher Variante, werden gross sein. Unser Bahnhof Winterthur möchte dafür sorgen, dass diese gut abgefedert und in der Bevölkerung abgestützt sind. Denn, dass Handlungsbedarf besteht, darin sind sich die SBB, die Stadt und der Kanton einig. Nur beim Bund ist die Dringlichkeit noch nicht angekommen, wie die Winterthurer Zeitung gestern geschrieben hat. Winterthur habe in Bern keine Lobby, sagt der ehemalige Kantonsrat Willy Germann. Zumindest in Winterthur selbst hat der Bahnhof mit dem Verein Unser Bahnhof Winterthur aber eine starke Vertretung gefunden.
Gioia ist nicht nur in der Redaktion bei WNTI tätig, sondern arbeitet auch als Videoredaktorin bei SRF News. Winterthur kennt sie bestens, denn sie verbrachte hier ihre Gymnasialzeit. Ausserdem ist es gut möglich, dass sie mehr über dein Haus weiss als du selbst, denn schon bei der Historiker:innen Zeitschrift schrieb sie über die faszinierenden Geschichten, die in den Mauern und Fassaden der Städte verborgen sind. Ihre Leidenschaft für die früheren Lebenswelten der Winterthurer:innen ist ebenso ausgeprägt wie ihre Neugier auf die Lebensrealitäten anderer Menschen.