Das wandernde Atelier: Besuch am «Drink + Draw»

Aktmalen leicht gemacht: Wer in einer zwang- und hüllenlosen Atmosphäre einen Akt malen will, der ist am «Drink + Draw» genau richtig.

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Das Aktmalen in einem zwanglosen Umfeld zu üben, ist gar nicht so einfach. Es fehlt an Gefässen. «Drink + Draw» schafft einmal im Monat ein solches. (Bild: BASTIAN_RIESEN)

Es herrscht konzentrierte Stille im «Lokal» am vergangenen Dienstag. Neben leisem Gitarrenzupfen hört man nur das Kratzen von Bleistift auf Papier, ein gelegentliches Rascheln oder Umblättern. Es ist die erste Hälfte des «Drink + Draw» in Winti. Unter diesem Namen treffen sich einmal im Monat, jeweils mittwochs, Kunstinteressierte zum Aktzeichnen. Seinen Ursprung fand das D+D genau hier, im Lokal an der Zeughausstrasse. Unterdessen wandert es durch die Stadt. Salzhaus, Kraftfeld, Gleiserei, Roxy und letztens auch die Dachterrasse Wiedehopf – sie alle beherbergten die Veranstaltung.

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Mutter und Tochter, Pärchen oder professionelle Zeichnende: Das «Drink + Draw» lockt ein vielfältiges Publikum. (Bild: BASTIAN_RIESEN)

Nach 45 Minuten zeichnen gibt es eine Pause. Zeit, um sich unter die Zeichner:innen zu mischen. «Ich schätze es, hier regelmässig zeichnen zu können», sagt Flurina, die letztens das Kunstgymi abgeschlossen hat. Heute hat sie ihre Freundinnen Ana und Annalea mitgenommen. Auch Seraina, die fast jedes Mal mit ihrer Mutter Elisa dabei ist, schätzt die Regelmässigkeit. «Im Alltag habe ich kaum Zeit zu zeichnen, hier bleibe ich dran», sagt sie. Elisa meint, sie blättere gerne durch ihr Skizzenbuch. «Man sieht den Fortschritt richtig», freut sie sich.

Das Publikum ist so bunt wie die Caran D’Ache-Stifte beim Materialtisch. So trifft man neben Hobbyzeichner:innen auch Menschen mit künstlerischem Beruf an. Patrick, ein Illustrator, hat bereits ein paar Aktzeichenkurse hinter sich, aber die Atmosphäre des «Drink + Draw» gefällt ihm am besten. «Die anderen können manchmal etwas seelenlos wirken», meint er. Auch der Grafikdesigner Willy ist oft hier anzutreffen. Er findet: «Winterthur ist eine kulturelle und künstlerische Stadt, das ‹Drink + Draw› passt einfach dazu.»

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«Drink + Draw» wechselt laufend den Veranstaltungsort. Im «Lokal» auf dem Zeughausareal fand es in Winterthur zum ersten Mal statt. (Bild: zvg)

Während der Pause darf der Besuch am Materialtisch nicht fehlen. Leere Seiten warten darauf, die nächsten 45 Minuten befüllt zu werden. Ob mit Neocolor, Kugelschreiber oder Kohle ist der zeichnenden Hand selbst überlassen.

Die zweite Hälfte beginnt, die Musik ist schneller und so auch die Posen. Nur eine Minute dauern die ersten drei an, das Modell Lena posiert mit enormer Körperspannung. Später sagt sie: «Ich versuche, mit jeder Pose eine bestimmte Energie zu vermitteln.» Wie die Zeichner:innen haben auch die Modelle unterschiedliche Grade an Erfahrung. Manche machen es zum ersten Mal, Lena ist bereits seit einigen Jahren Aktmodell. Der Unterschied von hier zu angeleiteten Kursen sei neben der Atmosphäre auch die Freiheit ihrer eigenen Arbeit. Dort dirigierten Kursleiter:innen ihre Posen, sie erklärten den Teilnehmenden bestimmte Details und es laufe selten Musik. Heute arbeiten die Zeichnenden für sich. Das mache sich auch in den Ergebnissen bemerkbar, meint sie.

Am Ende der Veranstaltung legen diejenigen, die möchten, ihre Zeichnungen aus. Man geht herum, tauscht sich aus, lobt, bleibt hängen. Ein junger Mann ist neu in Winterthur – beim Drink + Draw im Kraftfeld hat er seine ersten Kontakte geknüpft. Und genau das sei der Sinn und Zweck, meint Franziska, eine der beiden Organisatorinnen. Das Drink + Draw wandert durch Winterthur und bietet ein temporäres Zuhause für alle, die sich kreativ entfalten möchten.

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    Wer möchte, darf seine Zeichnungen nach dem Anlass zur Ansicht auflegen. (Bilder: zvg) (Bild: zvg)

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Olivia Ruffiner

Olivia Ruffiner ist Journalistin, Wahl-Winterthurerin, und seit Kurzem Mitorganisatorin des «Drink + Draw» Winti. Zuvor besuchte sie das Event regelmässig als Hobbyzeichnerin.

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