Alte Substanz, neues Leben: Wie ein Bauhaus den Kreislaufbau neu denkt

Winterthur will klimaneutral werden – und setzt dabei auf zirkuläres Bauen. Ein Re-Use Baumarkt in Hegi macht sichtbar, wie Kreislaufwirtschaft in der Baubranche funktionieren kann. Schaffen es solche Ansätze aus ihrer Nische heraus?

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Tristan ist Mitarbeiter im Roto-Bauhaus und wertet alte Holzbretter wieder auf. (Bild: Marit Langschwager)

«Jedes gebrauchte Produkt hat eine eigene Persönlichkeit.» Hinter jedem Holzbrett steckt eine Geschichte – und Michael Wick kennt sie alle. Wer den Roto Re-Use Baumarkt betritt, merkt sofort: Hier liegt mehr als nur Material auf Lager. Auf fast 1000 Quadratmetern türmen sich Holzbalken, Türrahmen, Metallstangen. Nicht perfekt verpackt, nicht genormt, sondern gezeichnet vom Leben. Der Geschäftsführer hat den Baumarkt im November 2024 mit seinem Team eröffnet. Jeden Tag wird hier demontiert, geschliffen, gelagert und weitergegeben.

«Es muss für uns auch rentabel sein, sonst lohnt es sich nicht.»

Michael Wick, Geschäftsführer des Roto-Baumarkts

So sollen alte Abbruchhäuser künftig als Schatzkammern für Bauteile dienen. Sorgfältig ausgebaut, finden die Bauteile später ein neues Zuhause in anderen Gebäuden. Auch im Baumarkt findet bereits Gebrauchtes einen neuen Platz: Ein Eichen-Rahmen wird zur neuen Raumtrennung, ein Gitter zum Geländer. Doch nicht jedes Teil schafft es ins Regal. Viele Kund:innen bringen ausgediente Stücke vorbei, in der Hoffnung, dass sie irgendwann weiterverwendet werden können. Doch Michael Wick prüft genau, was angenommen wird: «Es muss für uns auch rentabel sein, sonst lohnt es sich nicht.»

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Michael Wick ist Geschäftsführer des Roto-Baumarkts. (Bild: Marit Langschwager)

Neben der praktischen Wiederverwendung spielt auch die Weiterbildung in zirkulärem Bauen eine wichtige Rolle bei Roto. In Workshops können Bauherren oder Architektinnen lernen, wie sich die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen umsetzen lässt. Mit der ETH Zürich und der ZHAW sind bereits erste Kooperationen im Gang. Dafür erhält die Firma eine Unterstützung aus dem Klimafonds vom Stadtwerk Winterthur. Auch private Investor:innen unterstützen das Projekt.

Doch wer sich schon einmal in ein Bauprojekt gestürzt hat, der weiss: Alles steht und fällt mit dem Material. Und es soll vieles auf einmal sein – zuverlässig, bezahlbar, und am besten auch noch umweltfreundlich. Doch nachhaltiges Bauen beginnt nicht erst auf der Baustelle. Die Baubranche liegt mit 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen an der Spitze der Umweltsünder. Das liegt vor allem am Beton: Schon bei seiner Herstellung entweichen riesige Mengen CO₂ in die Atmosphäre. An die 80 Prozent des landesweiten Abfalls stammen aus dem Bauwesen.

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Alte Fundamente finden im Roto-Baumarkt eine neue Funktion. So wie dieses Trennelement aus der Uni Zürich. (Bild: Marit Langschwager)

Deshalb rückt zirkuläres Bauen immer mehr ins Zentrum – auch politisch. In der Schweiz gibt es inzwischen 24 gemeinnützige Bauteilbörsen, -märkte und -läden, die gebrauchte Materialien zur Wiederverwendung bereitstellen. Auch in Winterthur bewegt sich etwas: Im August  2024 reichte die Stadtparlamentarierin Annetta Steiner (GLP) eine Interpellation ein, um das Recycling im städtischen Bauwesen voranzutreiben. Andere Mitglieder aus allen Fraktionen des Stadtparlaments unterstützten das Vorhaben. Der Stadtrat zeigte sich als Reaktion darauf offen, verwies aber auch auf die finanziellen Hürden. Darüber hinaus sei die Wiederverwendung von Bauteilen – etwa Türen, Schränken oder Tafeln – bereits erfolgt. Grössere Re-Use-Projekte scheiterten oft an fehlenden Lagerflächen, begrenztem Personal oder rechtlichen Unsicherheiten.

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Der Roto-Baumarkt von innen. (Bild: Marit Langschwager)

Auch Wick kennt diese Herausforderungen: «Es ist immer mit mehr Arbeit verbunden, etwas Altes wieder aufzubereiten. Aber dadurch, dass die Produkte länger in einem Kreislauf sind, substituieren sie sich auch.» So würde zum Beispiel die Demontage weniger Energie verbrauchen und durch die Masse an Material spare man CO₂ ein. Erste Städte und Gemeinden nehmen bereits Beratungen bei ihm in Anspruch, um ihre Projekte auf Wiederverwendung zu prüfen. Manche seien zwar vereinzelt dazu bereit, den entsprechenden Preis dafür zu zahlen, doch letztlich sei es die Frage, «ob die Bauherrschaft das Vorgehen auch unterstützt», so Wick.

Projekte wie der Roto Baumarkt zeigen, dass Wiederverwendung machbar ist. Doch ohne gesetzliche Anreize und strukturelle Unterstützung bleibt das Engagement einzelner Initiativen oft isoliert. Damit Re-Use kein Nischenprojekt bleibt, braucht es laut Wick politischen Druck. So könnte eine kantonale Recycling-Gebühr helfen, Anreize zu schaffen und echte Wertschöpfung zu ermöglichen. Noch ist offen, ob Städte und Gemeinden diesen Weg mitgehen. Wick ist überzeugt: «Wir müssen zeigen, dass Re-Use funktioniert.»

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Marit Langschwager verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitete unter anderem bei der NZZ und im SRF-Newsroom. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.

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