Afro-Pfingsten und das koloniale Erbe Winterthurs

Die Afro-Pfingsten sind längst mehr als ein Kulturfestival. Heute entfaltet sich über die Feiertage ein üppiges Rahmenprogramm, das nicht nur die Sonnen-, sondern auch die Schattenseiten der europäisch-afrikanischen Beziehungen beleuchtet.

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Leckerer Streetfood, toller Sound und volle Gassen. Doch die Afropfingsten sind seit Jahren mehr als das. (Bild: wintipix.com)

«Kultur ist halt nicht losgelöst von ihrer Geschichte», sagt Walter Fofana, der bei den Afro-Pfingsten für das Programm verantwortlich ist. Deshalb sei es wichtig, ein Bewusstsein für die Themen Kolonialismus, Rassismus und Migration zu schaffen. «Gerade als öffentliches, kulturelles Festival mit Reichweite haben wir eine Verantwortung.»

Die verschiedenen Workshops, Führungen, Referate und Lesungen setzen die Afro-Pfingsten gemeinsam mit Partner:innen um.

Zum Beispiel der Verein African Voices: Er organisiert in der Stadtbibliothek eine Ausstellung mit 16 afrikanischen Autor:innen und ihren Geschichten. Zum Beispiel von Ngugi wa Thiong’o – einem erst letzte Woche verstorbenen kenianischen Autor. Sein Buch mit dem Titel «Afrika sichtbar machen» ist auch ein Ziel des Vereins. Ein hochgestecktes, wie die Referentin zugeben musste: «54 Länder und über 2000 gesprochene Sprachen – wir werden heute also nur einen kleinen Ausschnitt hören», sagte sie. Thiong’o sucht in seinem Werk nach einer neuen Rolle Afrikas in einer zwar globalisierten, aber noch immer unter den Nachwirkungen von Kolonialismus und Sklaverei leidenden Welt.

Da passt es gut, läuft in der alten Kaserne gerade die Ausstellung «Wenn Rohstoffhändler erwischt werden». Public Eye hat dafür 20 Rechtsfälle aufgearbeitet, in die Schweizer Handelskonzerne verwickelt waren oder sind. Schauplätze sind oft rohstoffreiche, afrikanische Länder, zum Beispiel Angola. Erst Ende Januar verurteilte das Bundesstrafgericht einen Manager des Schweizer Rohstoffhändlers Trafigura ‒ er hatte in Angola für insgesamt fast fünf Millionen Euro einen leitenden Staatsangestellten bestochen.

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Der Fall «Das Monopol von Trafigura in Angola» ist Teil der Ausstellung in der alten Kaserne. Illustriert wurde sie vom Genfer Künstler Jean-Philippe Kalonji. (Bild: Public Eye / Kalonji)

Zudem wirft der Verein sein Auge auf die Kaffeestadt Winterthur. Das ursprünglich äthiopische Ritualgetränk eroberte Europa im Sturm, längst ist es im Westen zum Handels- und Konsumgut geworden, mit dem sich hier viel Geld verdienen lässt. Doch angebaut wird Kaffee noch immer im «Kaffeegürtel» rund um die Welt. Nur dort stimmen die klimatischen Bedingungen ‒ in Ländern wie Äthiopien, Uganda, Kenia oder Ruanda.

«Winterthur hat natürlich eine Geschichte mit Kolonialwaren», sagt Brigitte Häberle von der Public Eye Regionalgruppe Winterthur. Denn einer der grössten wischenhändler für Kaffee weltweit hat hier seinen Sitz. Die Volcafe Ltd. ‒ heute mit Büroräumlichkeiten im Technopark ‒ ging aus dem Kaffeegeschäft des Kolonialwarenhändlers Gebrüder Volkart hervor. Dort knüpft die Führung an, zeigt aber auch sonst viele Aspekte von Kaffee, wie Radio Stadtfilter Ende März berichtete. Leider ist die Führung an Pfingsten bereits ausgebucht, mit der App «Actionbound» können Interessierte den Rundgang per Smartphone trotzdem selbst vornehmen.

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Walter Fofana ist Programmverantwortlicher der Afro-Pfingsten. Er freue sich auf die Band «The Massive Tribe» am Donnerstag im Albani oder das Referat «Söldner, Sklaven, Baumwollhändler» am kommenden Dienstag. (Bild: zvg)

«Die Afro-Pfingsten setzten sich schon in den 2010er-Jahren teilweise mit diesen Themen auseinander», sagt Walter Fofana. Nach der Edition 2022 habe sich das Team in einem Workshop mit der Vision des Festivals beschäftigt. Das Resultat: «Wir wollten weg vom klischeehaften Afrika.» Seit da ist das Angebot an aufklärenden Angeboten stark gewachsen.

Kommt die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte der Schweiz voran? Er sei natürlich in einer Bubble unterwegs und tausche sich viel mit Menschen aus, die sehr differenziert auf die Vergangenheit blickten, relativiert Fofana. Doch er habe das Gefühl, dass es vorwärtsgehe.

Eine weitere Organisation, die dazu beiträgt, ist der Winterthurer Verein Kehrseite. «Wir beleuchten auf unserem Rundgang die Schnittstelle zwischen Kolonialismus und Rassismus», sagt Miguel Garcia. Ein Halt sei das Casinotheater ‒ denn dort fand im Juni 1887 eine Völkerschau statt. Die Zurschaustellung von Menschen anderer Hautfarben sei als Bildungsarbeit verkauft worden. Ziel sei aber immer die Hierarchisierung von Menschen aufgrund ihrer Rasse gewesen, sagt Garcia. Während der Afro-Pfingsten finden die Rundgänge am Samstag und Sonntag statt.

Die Afro-Pfingsten haben also viel zu bieten – und wem dieser kritische Teil des Rahmenprogramms zu düster wird, der kann sich einfach am Rest des Festivals umsehen. Dort werden die zig Kulturen eines Kontinents gefeiert, wie sonst wohl nirgends zu Pfingsten.

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Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.

Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.

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