Wie ein Projekt die Kinderrehabilitation in der Ukraine stärkt
Inmitten von Luftalarm und Stromausfällen arbeiten ukrainische Fachpersonen an einer besseren Ausbildung für Physio- und Ergotherapie mit Kindern. Das Projekt «Mission Ukraine» begleitet sie – mit Fachwissen aus der Schweiz und dem Willen, gemeinsam etwas zu bewegen.
Die Bilder des Krieges in der Ukraine sind allgegenwärtig, doch hinter den Schlagzeilen spielt sich ein oft übersehener Kampf ab: jener um die körperliche und seelische Rehabilitation der Jüngsten. Kinder, die verletzt oder traumatisiert geboren werden, benötigen spezialisierte Betreuung und Fachkräfte, die sie mit Kompetenz und Einfühlungsvermögen begleiten. Genau hier setzt das Projekt «Mission Ukraine» an.
In der Ukraine bieten derzeit rund 70 Hochschulen Studiengänge in Physio- und Ergotherapie an. In der Regel starten die Studierenden mit einem gemeinsamen Grundstudium und wählen später ihre Spezialisierung. Durch den Krieg sei die Nachfrage nach diesen Fachrichtungen stark gestiegen, erklärt Florence Messerli, Physiotherapeutin und Dozentin an der ZHAW. Eine gezielte Ausbildung für die Arbeit mit Kindern habe deshalb bislang kaum Priorität gehabt.
Für die wenigen ukrainischen Fachpersonen, die sich auf die Arbeit mit Kindern spezialisieren, seien zentrale Elemente wie die Bedeutung des Spiels, der Einbezug der Familie oder die Anpassung des alltäglichen Umfelds nicht überall systematisch in der Ausbildung verankert. Messerli und ihre ergotherapeutische Kollegin Dr. Beate Krieger haben im Rahmen des Projekts eng mit ukrainischen Fachpersonen zusammengearbeitet.
«Diese Mischung aus Zurückhaltung und grosser innerer Motivation beeindruckt mich sehr.»
Florence Messerli, Physiotherapeutin und Dozentin an der ZHAW
Initiiert wurde die Initiative vom Departement Gesundheit der ZHAW in Kooperation mit ukrainischen Partnerorganisationen, später folgte eine finanzielle Unterstützung durch die WHO. Ziel ist es, die Ausbildung in der Kinder-Physio- und Ergotherapie gezielt weiterzuentwickeln und Hochschuldozierende zu befähigen, die Inhalte praxisnah und wissenschaftlich fundiert zu vermitteln. Das Projekt gliedert sich in drei aufeinander bezogene Phasen.
In der ersten Phase unterstützten Florence Messerli und Beate Krieger ein ukrainisches Expert:innengremium bei der Entwicklung eines pädiatrischen Curriculums für die beiden Ausbildungsgänge. Gemeinsam formulierten sie Lernziele, strukturierten Inhalte und verknüpften medizinische, entwicklungsbezogene und alltagsnahe Perspektiven. Während die ukrainischen Fachpersonen ihre Kenntnisse des lokalen Gesundheitssystems und der familiären Bedürfnisse einbrachten, ergänzten die Schweizer Expertinnen ihre Erfahrung in Lehre, Praxis und Curriculumsentwicklung.
Die zweite Phase konzentrierte sich auf die praktische Umsetzung: Zehn ukrainische Dozierende erprobten die neu entwickelten Inhalte in ihrer Lehre, reflektierten die Erfahrungen und entwickelten sie weiter. Den Abschluss bildete die dritte Phase – ein viertägiger Aufenthalt in Lwiw im August. Vor Ort führten Messerli, Krieger und eine weitere Fachkollegin Workshops durch, in denen praktische Behandlungsmethoden vermittelt und neue Lehrformen vorgestellt wurden.
Die Teilnehmenden entwickelten Trainingsprogramme und erarbeiteten gemeinsam Behandlungsstrategien (Bild: Privat)
Dabei traten auch kulturelle Unterschiede zutage: «In vielen Bereichen des ukrainischen Bildungssystems wird Autorität traditionell hoch geschätzt und Lehrpersonen sind stark als Wissensvermittler:innen positioniert», schildert Messerli. Schritt für Schritt hätten sie im Projekt daran gearbeitet, eine offenere Lernkultur zu fördern – mit Raum für Fragen, Diskussionen und gemeinsames Nachdenken.
Die Realität des Krieges sei dabei in allen Projektphasen immer präsent gewesen – etwa in Form von Stromausfällen, Luftalarmen oder der ständigen Unsicherheit, ob geplante Online-Treffen wie vorgesehen stattfinden können. Die Gleichzeitigkeit von Normalität und latenter Gefahr berührte sie besonders. Trotz grosser Belastung, familiärer Sorgen und schwieriger Arbeitsbedingungen hätten sich die ukrainischen Kolleg:innen mit bemerkenswerter Energie eingebracht. «Diese Mischung aus Zurückhaltung und grosser innerer Motivation beeindruckt mich sehr», betont Messerli.
Auf Wunsch der Teilnehmenden integrierten die Kursleitenden auch Methoden, die traumatisierten Kindern helfen, sich auszudrücken und aktiv zu werden. Die Erfahrungen aus dem Projekt könnten laut Messerli auch über die Ukraine hinaus von Bedeutung sein: «Wir werden in Zukunft viel von ihnen lernen können – fachlich, aber auch menschlich.»
Für die Projektpartner ist bereits die nächste Phase in Planung: Ukrainische Fachpersonen sollen im Rahmen von Hospitationen in der Schweiz Einblick in Praxis und Lehre erhalten. Zudem ist eine weiterführende Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts «TRUE» vorgesehen – mit dem Ziel, die pädiatrische Physiotherapie und Ergotherapie in der Ukraine langfristig zu stärken und Kinder mit Beeinträchtigungen besser zu unterstützen.
Marit verdiente ihre Sporen im Lokaljournalismus bei der «Neuen Westfälischen» ab. Sie wohnt in Winterthur und arbeitet als Redaktorin im SRF Newsroom und war unter anderem bei der NZZ. Vom Pressedienst der russischen Botschaft wurde sie schon als «wenig bekannte, junge Journalistin» abgekanzelt – eine unzweifelhafte Ehre, finden wir.