Von unheimlicher Wucht
Kraftorte von Martin Frischknecht
Eine Trigger-Warnung vorab: In diesem Text geht es um Unheimliches. Das Objekt befindet sich vor aller Augen. Zuerst nach Weimar: Ein hübsches, geschichtsträchtiges Städtchen im Osten Deutschlands. Die Hauptstadt der deutschen Klassik und Wirkstätte von Herder, Schiller und Goethe wurde auch bekannt als Gründungsstätte der ersten demokratischen Republik Deutschlands. Hier errichteten die Nazis um 1937 mitten in der Stadt das sogenannte Gauforum: Eine Reihe von riesigen, gleichförmigen Protzklötzen, die heute noch stehen. Der einzelne Mensch kommt sich daneben klein, bedeutungslos und ohnmächtig vor.
Etwas Ähnliches gibt es in Winterthur. Das wuchtige Gebäude, welches die Stadthausstrasse mit seinem überragenden Turm abschliesst, wurde 1931 eröffnet und zählt zur Strömung der «Neuen Sachlichkeit». Mit seiner gnadenlos rechtwinkligen Linienführung markiert der Verwaltungsblock der damaligen Winterthur Versicherungen einen brutalen Gegenpol zu den kleinräumigen Häusern der Altstadt.
Seit 2006 residiert hier der französische Versicherungskonzern AXA. Als wolle man das wuchtige Erbe des Firmensitzes einhegen und abmindern, wurde in diesem Jahr unter mächtigen Parkbäumen der öffentlich zugängliche AXA Flora Futura Park angelegt. Neben botanischen Tafeln mit PR-Schönsprech liegen in dem Park fein säuberlich gebündelte Asthaufen für allerlei Kleingetier, das darin eine Heimstatt finden soll. Wie wohltuend diese krummen, dürren Stecken doch mit den schnurgeraden Blocks der Versicherung kontrastieren. Mögen sie ihre wohltuende Wirkung entfalten!
Martin Frischknecht veröffentlicht das «SPUREN – Magazin für Spiritualität und Ökologie» und praktiziert verschiedene Formen von Meditation. Zugezogen aus Zürich, fühlt er sich Winterthur heute so sehr verbunden, dass er die Kraftorte hier kennt.