In den Armen der Nacht

Kraftorte von Martin Frischknecht

25-12 WN Kraftort Dunkel
(Bild: zvg)

Hinter der katholischen Kirche im Mattenbach kommt es an einem Herbstabend zu einem konspirativen Treffen. Unser Ziel liegt im Finstern. Einen Monat vor der Wintersonnenwende am 21. Dezember begeben wir uns auf die Suche nach dem düstersten Ort der Stadt.

Vor drei Stunden hat sich die Sonne vom Himmel verzogen. Was aber nicht heisst, dass es nun tatsächlich dunkel wäre. Überall brennen Strassenlampen. Die Lichter von Autos und Velos durchschneiden die Nacht. Erste Weihnachtssterne, Nikolause und Lichterketten auf Balkonen tun ein Übriges, um die Dunkelheit zu vertreiben.

Heute wollen wir uns dieser Blendung entziehen. Ab in den Wald! Der so einladend dort «steht schwarz und schweiget». Auf einer unbeleuchteten Strasse geht’s bergan. Wo ein schmaler Wanderweg den Hügel hochführt, wird es unübersichtlich. Wir beginnen den Pfad mit den Füssen zu ertasten.

Es dauert nicht lange, da gewöhnen sich die Augen an die neuen Verhältnisse. Wo es zuvor finster schien, werden Konturen sichtbar und das Fortschreiten fällt nicht schwer. Als drückten von weit her Mond und Sterne durch die Wolken, reflektiert der Himmel über uns die Lichter der Stadt. Wir erreichen schliesslich die weite Lichtung auf dem Eschenberg. Wo uns ein Bauer mit Scheinwerfern am Traktor jeden Anflug von Hellsichtigkeit raubt.

Davon lassen wir uns nicht vertreiben und streben dem Ziel der Expedition zu. Die Winterthurer Sternwarte, so der Plan, müsste der Ort von maximaler Düsternis sein. Immerhin liegt die Anlage über dem Abhang zum Leisental, durch das die Töss abseits jeder Siedlung fliesst. Doch das Observatorium begrüsst uns mit weisser Fassade. Es will partout nicht unsichtbar sein.

So «lass uns ruhig schlafen – und unsern kranken Nachbar auch», wie es im bereits zitierten Abendlied von Matthias Claudius heisst. Fensterläden zu und gute Nacht.

Martin Frischknecht veröffentlicht «SPUREN – Magazin für Spiritualität und Ökologie» und praktiziert verschiedene Formen von Meditation. Zugezogen aus Zürich, fühlt er sich Winterthur heute so sehr verbunden, dass er die Kraftorte hier kennt.

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