Spielwiese und Spielhölle: Das «Chrafti» ein Jahr nach dem Crowdfunding
177'000 Franken sammelte das Kulturlokal Kraftfeld auf dem Lagerplatz vor einem Jahr ein. Die Betriebsleitenden und Vorstandsmitglieder erzählen, was sie mit dem Geld gemacht haben. Und feierten die zweite Casino-Eröffnung an diesem Wochenende.
«Kommst du fürs Kerzenziehen?», fragt mich jemand, als ich das «Chrafti» betrete. Eigentlich nicht, antworte ich leicht irritiert ‒ aber das ist typisch für die «Spielwiese» auf dem Lagerplatz. Im Kraftfeld finden heute nämlich zwei, eigentlich sogar drei Veranstaltungen statt. Erstens das Kerzenziehen, zweitens eine ganz spezielle Neueröffnung, und drittens «Kein Podiumsgespräch und keine Pressekonferenz». An diesem Anlass will der Bar- und Clubbetrieb erzählen, wie es ihm nach seiner Rettung geht.
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte das Kraftfeld mit einem Crowdfunding um Hilfe gebeten. «Die Betriebsunterbrüche während der Corona-Pandemie und ein schwieriges Geschäftsjahr 2023 haben uns zugesetzt», hiess es im Aufruf, der mindestens 60’000 Franken zusammenkriegen wollte. Die Winterthurer:innen liessen ihren Lieblingsort auf dem Lagerplatz nicht hängen. Zusammen kamen 177’000 Franken. «Den Grossteil haben wir zum Ausgleich eines Defizits verwendet», erklärt Jonathan «Joni» Bühler. Er ist in der Betriebsleitung im Ressort «Papierkram» zuständig. Während der Pandemie hätten sich die laufenden Kosten aufgestaut, und im Jahr danach sei der erwartete Run auf die Lokale ausgeblieben. «Im Frühjahr 2024 war die Betriebslage angespannt und unangenehm», erinnert sich der Buchhalter.
Jüngere Generationen gingen seltener und wenn, dann weniger lange in den Ausgang. Und sie konsumierten weniger, das sagen an diesem Abend fast alle Anwesenden. So viele positive Aspekte das habe ‒ «mit dem Konsum wird nun einmal der Kulturbetrieb subventioniert», sagt Wendelin Brühwiler, Vorstandsmitglied im Trägerverein. Der Umsatz Kraftfelds ist heute, genau wie jener der meisten Clubs und vergleichbaren Kulturlokale, nicht mehr auf dem Niveau von vor der Pandemie.
Ohne das Geld aus dem Crowdfunding hätte der Betrieb nicht weitergeführt werden können. Dies existenzbedrohte Lage vom Vorjahr habe bewirkt, dass innerhalb kurzer Zeit viele Entscheidungen gefällt und Massnahmen zur Ausgabenreduktion umgesetzt wurden. Zudem sei ein engeres Controlling bei den Finanzen eingeführt worden. «Ohne um den heissen Brei herumzureden: Wir geben weniger Geld aus», sagt Buchhalter Joni. Das «Chrafti» hat heute weniger offen, die Barabende ohne Veranstaltungsprogramm am Mittwoch und Donnerstag, die leider nur selten rentiert hätten, gibt es nicht mehr.
Das Lokal könne dafür etwas mehr für geschlossene Gesellschaften wie Geburtstage, Hochzeiten und Firmenanlässe vermietet werden, wirft PR-Verantwortliche Aleks Sekanić ein. Und Programmverantwortlicher Matthias Menzi sagt: «Wir sind sicher etwas offener geworden.» Zum Beispiel arbeite man mehr mit Kollektiven zusammen, die für ihre Koproduktionen eigene Musik und auch eine eigene «Bubble» ins Kraftfeld brächten. «Herzrasen» (Hard Techno) und «Reudig» (Trance) seien zwei solche Formate. Zudem setze man am Eingang mehr auf «Pay what you can». Spontane Besucher:innen wüssten manchmal nicht, ob ihnen die Musik an dem Abend gefalle. Mit einem selbst wählbaren Eintrittspreis baue man Hürden ab – für zum Beispiel spontane oder neue Besucher:innen.
Überraschend eröffnete am Samstagabend ein zweites Casino in Winterthur. (Bild: Nick Eichmann) Die Nötli blieben allerdings in den Portemonnaies. Im Gegensatz zum Konkurrenten in der Lokstadt stellte hier allerdings die Bank die Einsätze zur Verfügung. (Bild: Nick Eichmann) Nicht 200, aber immerhin vier blinkende «Slots» standen im «Generator Grand Casino». (Bild: Nick Eichmann) Inszeniert wurde der Abend ‒ genau wie ein paar hundert Meter weiter ‒ als Neueröffnung. (Bild: Nick Eichmann) Genau wie beim grossen Bruder gab es einen «Ribbon cut». Hier allerdings mit Bolzenschneider... (Bild: Nick Eichmann) ... inklusive Apéro-Häppchen. (Bild: Nick Eichmann)
Womit wir wieder beim Kerngeschäft des «Chrafti» wären. «Die Leute kommen, wenn man ihnen einen Anlass gibt», sagt Vorstandsmitglied Wendelin Brühwiler. Diesen Satz macht das Kulturlokal auch am Samstagabend zum Mantra. Um neun Uhr ertönen feierliche Fanfaren, Vereinspräsident Johannes Denzler nimmt einen Bolzenschneider zur Hand, schreit «All Clubs are broke!» und durchtrennt ein rotes Band zum Dancefloor. Nur ist dieser heute keine Tanzfläche, sondern ein Casino. Roter Samt hängt von den Decken, Teppiche bedecken den Boden, blinkende Spielautomaten säumen die Wände. In der Mitte des Raumes steht ein Roulettetisch samt Croupiers. «Gespielt wird natürlich aufs Haus», erklärt Denzler die Regeln, die Besucher:innen kriegen Chips in die Hände gedrückt, die Überraschung ist perfekt.
Und ich bin froh, an diesem Abend die schönere der beiden Casino-Eröffnungen besucht zu haben.
Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.
Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.