Lustwandeln in die Mitte
Kraftorte von Martin Frischknecht
Obwohl die meisten Leute das eine vom anderen nicht auseinanderhalten, besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Irrgarten und Labyrinth. Am besten lässt sich das selber erfahren. Mit den eigenen Füssen. Zum Beispiel bei einer Begehung des Labyrinths bei der katholischen St. Peter- und Paulkirche im Neuwiesenquartier.
Wenn Anwohnende auf den Rasenflächen hier chillen und andere sich auf dem Trottoir der Wartstrasse ein Feierabendbier gönnen, ist es besonders schön, sich vor den Eingang des Labyrinths zu stellen. Eine Tafel im Boden informiert, dass es angelegt wurde zum 150 Jahr-Jubiläum der Kirche. Eine kreisförmige Reihe von Pflastersteinen säumt den Weg, der vor einem liegt.
Mit seinen Schlaufen beschreibt dieser lange, vielfach gefaltete Weg gewissermassen ein Lustwandeln nach Nirgendwo. Mit der Zeit wird einem bewusst, dass die Bewegung des Gehens ein Kreisen ist um die Mitte. Die hat man fast schon erreicht, da führt der Weg wieder ganz hinaus an die Peripherie. Ist das eine Perfidie? Nein, im Gegenteil – und gleich noch ein Begriff aus antiken Sprachen –, es handelt sich um eine Allegorie. Um ein Gleichnis auf den Weg des Lebens. Im Hier und Jetzt.
Ist die Mitte und damit das vermeintliche Ziel dieser Reise erreicht, so geht es von dort aus nicht weiter. Ausser die Pilgerin oder der Suchende wendet sich um und nimmt den Rückweg unter die Füsse. Dass sich bei diesem steten Schreiten und Wenden ein aussergewöhnlicher Bewusstseinszustand auftut, versteht sich von selbst. Mit Fug und Recht lässt sich ein Gang durchs Labyrinth als Gehmeditation bezeichnen.
Woraus sich der Unterschied zum Irrgarten ergibt: An keiner Stelle auf diesem Pfad gilt es eine Entscheidung zwischen Links oder Rechts zutreffen. Dieser organisch gewundene Weg führt nicht in die Irre. Sondern in die Mitte. Zu sich.
Martin Frischknecht veröffentlicht das «SPUREN – Magazin für Spiritualität und Ökologie» und praktiziert verschiedene Formen von Meditation. Zugezogen aus Zürich, fühlt er sich Winterthur heute so sehr verbunden, dass er die Kraftorte hier kennt.