Leserbrief an «das Arschloch, Herr X.Y.»

Sechs von zehn Medienschaffenden in der Schweiz wurden 2024 mit hasserfüllten Äusserungen oder Beleidigungen konfrontiert. Das bestätigt eine Studie der ZHAW, in deren Rahmen Forschende die Sicherheitssituation von Medienschaffenden hierzulande untersuchten.

Auch in den Winterthurer Redaktionen müssen wir hin und wieder einstecken, aber dazu unten mehr. Dass die psychische Belastung bei Journalist:innen zunimmt, verwundert nicht. Dank der Anonymität im Internet sind die Möglichkeiten des «Zurückzuschiessens» sehr niederschwellig. Wie die Studie «Gefährdungsmonitor Journalismus Schweiz» der ZHAW zeigt, geschieht es hauptsächlich auf öffentlichen digitalen Kanälen wie Social Media oder in Kommentarspalten. Hassrede und die Androhung rechtlicher Schritte gehören zu den häufigsten Formen der Bedrohung. Eine von neun Personen hat sexuelle Belästigung erfahren.

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Illustration von Fabian Meister

Laut Studie zielen Anfeindungen meist auf die persönliche journalistische Arbeit ab. Generell sehen sich Journis mit höherem Arbeitspensum häufiger mit Angriffen konfrontiert. Von sexueller Belästigung betroffen sind vor allem Frauen, Junge sowie jene, die sich mit politischen Themen beschäftigen oder sich für Randgruppen, Minderheiten und sozialen Wandel einsetzen. Eine Befragung des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW im internationalen Projekt «Worlds of Journalism» ergab: Schweizer Journalist:innen macht das psychische Wohlbefinden Sorge und auch die Tatsache, dass Angriffe gegen sie nicht bestraft werden.

«Teils frögi mich scho, was ihr de ganz Tag lang mached.»

Anonym

Die Winterthurer Bevölkerung geht in der Regel anständig mit ihren Medienschaffenden um. Katrin Hug, Redaktionsleiterin des «Regionaljournal Zürich Schaffhausen» von SRF sagt, sie seien bislang nicht mit Hassrede konfrontiert gewesen. Es komme vor, dass sich Hörer:innen meldeten, weil sie finden, eine Information fehle oder sei verkürzt wiedergegeben worden. Ein Gespräch oder eine Mail, in dem sie erklärten, warum so entschieden wurde, helfe in solchen Fällen. Sandro Portmann, Chefredaktor der Winterthurer Zeitung, meint sogar, es sei gar kein Thema in der WiZe-Redaktion. Hin und wieder werde versucht, einen Artikel zu verhindern – auch mit Druck von Anwälten. So beispielsweise ein Artikel über zweifelhafte Renditeversprechen einer Goldverkäuferin aus Winterthur. Das komme aber selten vor, so Portmann. Wir bei WNTI haben das eine oder andere Mal leer geschluckt. Auf mein Interview mit Andreas Mösli schrieb ein FCW-Fan: «Höred uf über de FCW brichte es isch nur peinlich und teils frögi mich scho was ihr de ganz Tag lang mached.» Ein anderes Mal schimpfte jemand: «Ihr habt gross gelabert, dass ihr ‹objektiven Journalismus› machen würdet.» Eine Person schrieb: «Aber wahrscheinlich bist du etwas humorlos und kannst nichts mit Gender Woke Satyre anfangen.»

Laut Chefredaktor des Tagesanzeiger-Ressort Winterthur (ehemals Landbote) Jigme Garne kommen Klagedrohungen vor, weil sie kritisch berichten. In den letzten Monaten und Jahren seien solche von Privatpersonen und Institutionen gekommen. «In einigen Fällen werden tatsächlich rechtliche Schritte eingeleitet gegen die Redaktion oder einzelne Journalist:innen. Wir können uns glücklicherweise auf eine erfahrene Rechtsabteilung verlassen», so Garne. Dass sich Lesende in den sozialen Medien kritisch zu ihrer Arbeit äussern, findet er richtig. Solange es eine inhaltliche Auseinandersetzung bleibe. Schwierig werde es, wenn der Ton ins Beleidigende übergehe und auf eine Person gespielt werde. Garne erinnert sich an einen hässigen Leserbrief, der an «das Arschloch, Herr X.Y.» adressiert war. Er ergänzt: «Wir deaktivieren die Kommentarfunktion bei besonders sensiblen Themen zum Schutz der Protagonist:innen. Eine Ausnahme seien Artikel wie dieser hier, welche zum Schutz der Autor:innen ungezeichnet erscheinen. Zum Thema Sexuelle Belästigung verweist Garne auf diesen Artikel, in dem zwei ehemalige Landbote-Journalistinnen zu Wort kamen.

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Nichts ist einfacher, als «Hate-Speech» anonym zu platzieren. Wie hier ganz oldschool auf Papier. (Bild: Maria Wyler)

Für die Studie wurden Betroffene gefragt, wie sie auf die Bedrohung reagiert hätten. Der Mehrheit half es bereits, sich vor Augen zu führen, welche gesellschaftliche Bedeutung ihre journalistische Arbeit hat. Fast die Hälfte gab an, die Quelle der Bedrohung kontaktiert zu haben. In der WNTI-Redaktion gab es kurzzeitig die «Wall of Shame», an der ausgedruckte böse Nachrichten sichtbar in der Redaktion aufgehängt wurden. Humor sei jedoch nicht ganz ungefährlich, warnt die Studie. 81 Prozent der Befragten gaben diesen als Coping-Strategie an. Auswertungen zeigten, dass «aufdeckende», männliche und jüngere Journalist:innen häufiger die «Humor-Strategie» anwenden. Es zeige sich kein Zusammenhang mit psychischem Wohlbefinden, der Fähigkeit abzuschalten oder dem Ausmass an Besorgtheit. Dagegen bestehe ein Zusammenhang zwischen der Neigung, auf Bedrohungen mit Witz zu reagieren, und stärkeren Ausstiegsgedanken – so die Verfassenden. Weglachen dient demnach höchstens als Pflästerli und nicht als tiefgreifende Lösung im Umgang mit Gegenwind. Wir werden es uns zu Herzen nehmen.

WNTI-Portrait-Maria-Wyler

Jonglieren kann Maria eigentlich nicht. Wir finden aber schon. Denn sie schreibt für WNTI, organisiert den Alltag ihrer drei Söhne und musiziert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen machte sie beim Mamablog des Tages-Anzeigers und als freie Texterin. Heute findet sie ihre Geschichten in all den Menschen, die sie in den 20 Jahren, in denen sie in der Stadt wohnt, kennen und schätzen gelernt hat.

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