Sie führte die Kesb durch schwerste Zeiten

Die meisten möchten mit der Kesb nichts zu tun haben. Dass die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde auch unterstützt und schützt, betont Karin Fischer seit 13 Jahren. Als Präsidentin der Kesb Winterthur-Andelfingen baute sie die Behörde mit auf und führte sie durch schwierige Zeiten. Nun tritt sie zurück.

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Karin Fischer vor dem Sitz der Kesb Winterthur-Andelfingen im Stellwerk. (Bild: Codess Media)

Karin Fischer, seit der Gründung präsidieren sie die Kesb ‒ eine Behörde, deren Bild in der Öffentlichkeit noch immer negativ geprägt ist. Wie haben Sie das so lange durchgehalten?

Karin Fischer: Einerseits: Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich es mir vielleicht nochmals überlegt. Andererseits haben meine zwei Söhne oft gesagt, diese Behörde sei eine Art drittes Kind von mir. Und eigentlich ist es genauso, wie wenn man ein Kind kriegt: Ist es einmal da, widmet man sich ihm voll und ganz.

Wie reagierte die Familie auf Ihren Entscheid zum Rücktritt?

Sie haben den Entscheid unterstützt. Ich war nie jemand, der einfach einen Schalter umlegen konnte, ich nahm Erfahrungen aus meinem Leben mit in die Arbeit und solche von der Arbeit zurück ins Private ‒ wie es wohl die meisten Menschen tun. Das führte dazu, dass die Kesb in meiner Familie manchmal zu viel Raum einnahm, gerade in den ersten Jahren oder nach der Kindestötung in Flaach. Mein Mann und meine Söhne mussten vieles auffangen.

2013 entstanden die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, sie lösten die kommunalen Vormundschaftsbehörden ab. Bald kam der Vorwurf von Gemeinden, sie würden von der Kesb zu wenig informiert, zumal sie die von der Behörde angeordneten Massnahmen zahlen mussten.

In diesem Zusammenhang habe ich damals viel gehört: «Wer zahlt, befiehlt». Dieses Thema ist aber komplett vom Tisch, seit das neue Kinder- und Jugendheimgesetz (KJG) in Kraft ist. Seit 2022 übernimmt der Kanton einen Teil der Kosten.

«Mein Mann und meine Söhne mussten vieles auffangen.»

Karin Fischer, Präsidentin Kesb Winterthur-Andelfingen

2014 spielten die Kosten aber noch eine grosse Rolle. Im Fall «Hagenbuch», bei dem die Kesb Massnahmen für eine Familie in der Gemeinde angeordnet hatte, titelte der «Blick»: «Sozial-Irrsinn in einer kleinen Zürcher Gemeinde» und sprach von 60’000 Franken, die Hagenbuch monatlich zahlen müsse.

An dem, was damals in den Medien und durch die Politik verbreitet wurde, stimmte vieles nicht. In diesem Fall waren die Eltern kooperativ, es ging rein darum, dass die Familie in diesem Dorf keinen Halt fand …

… und die 60’000 Franken stellten sich im Nachhinein als falsch heraus, genau wie die Behauptung, die Gemeinde müsse wegen dieser Kosten die Steuern erhöhen.

Ich fand das auch aus einem anderen Grund tragisch. Da kamen Kameraleute, sogar von Medien aus dem Ausland, und versuchten diese Kinder zu filmen. Über Massnahmen und Kosten kann man immer diskutieren. Aber eine Familie derart unter einen Scheinwerfer zu zerren, ist verantwortungslos.

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Im medialen Sturm: Schlagzeilen zur Kindstötung in Flaach und dem Fall Hagenbuch aus verschiedenen Schweizer Zeitungen. (Bild: WNTI)

War das die Schuld der Medien?

Man spricht immer von «den Medien», letztlich ist es aber immer das Individuum, das handelt. In den letzten Jahren war ich mit vielen Medienschaffenden in gutem Kontakt, ich fühlte mich gehört. Aber ein paar Leute haben in der Vergangenheit Geschichten wegen der Aussicht auf schnelle Klicks skandalisiert.

Der Fall Hagenbuch war auch ein politischer, mehrfach äusserte sich die SVP-Gemeindepräsidentin Therese Schläpfer. Wurden Einzelfälle der Kesb politisch instrumentalisiert?

Jemand in der Partei von Therese Schläpfer hat damals vermutlich erkannt, dass sich das Thema gut präsentieren lässt. Angefangen hatte das kurz vorher mit dem Fall Carlos. Ohne die SRF-Reportage «Der Jugendanwalt» 2013 hätte es diese «Sozial-Irrsinn»-Debatte und den Fall Hagenbuch 2014 wohl nicht gegeben. Ich selbst war darin nie politische Akteurin. Für mich heisst Kindesschutz jedoch auch zu sagen: Diskutiert über die Sache, statt Einzelschicksale politisch und medial zu missbrauchen.

Der zweite Fall, der grosses Aufsehen erregte, ereignete sich in Flaach. Eine Frau tötete am Neujahrstag 2015 ihre beiden Kinder, zuvor hatte ihr die Kesb die Obhut entzogen. Eine Untersuchung entlastete die Behörde ein Jahr später. Seither ist es ruhig geworden um die Kesb. Gab es in all dieser Zeit keine Fehler?

Die Frage ist: Was heisst «Fehler»? Wir treffen unsere Entscheide in einem Gremium aus drei Personen, und alle drei müssen komplett hinter dem Entscheid stehen. Wenn Betroffene dann nicht zufrieden sind, können sie Beschwerde einlegen, und das über zwei Instanzen. Dieser Weg wird allerdings sehr selten genutzt, was mich schon etwas stutzig macht. Es wirft die Frage auf: Haben sich die Betroffenen nicht getraut oder die Möglichkeit gar nicht gekannt?

«Diskutiert über die Sache, statt Einzelschicksale politisch und medial zu missbrauchen.»

Karin Fischer, Präsidentin Kesb Winterthur-Andelfingen

Sie haben immer gesagt, die Kesb müsse darüber aufklären, was die Behörde tut. Sie haben angefangen, Jahresberichte zu publizieren und sogar einen eigenen Podcast in Auftrag gegeben. Ist die Öffentlichkeit heute besser informiert?

Man muss sehen: Wir machen diese Kommunikation nebenher, in der Kesb Winterthur-Andelfingen gibt es keine Medienprofis. Aber auch das Interesse an unseren Fachthemen ist sehr beschränkt, obwohl wir aktiv versucht haben, aufzuklären. Unser Jahresbericht beispielsweise hat immer einen fachlichen Schwerpunkt zu Themen wie Häusliche Gewalt, Nachtrennungskonflikte oder zu Fürsorge und Zwang. Nur wird dieser von den Medien selten aufgegriffen.

Weshalb hören Sie auf?

Einerseits haben sich meine Aufgaben im Lauf der Zeit immer mehr vom inhaltlichen, fachlichen hin zum betrieblichen verschoben. Andererseits ist ein grosses Digitalisierungsprojekt und die Umstellung auf eine weitgehend papierlose Arbeitsweise im März 2026 umgesetzt. Von daher ist es ein guter Zeitpunkt. Und ich möchte mich auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nochmals stärker einbringen.

Konnten Sie das nicht als Präsidentin der Kesb?

Ich habe mich hier nie eingeschränkt gefühlt, in dem, was ich sagte. Aber manchmal war es schwierig, aus der Rolle als Kesb-Präsidentin heraus die eigene Meinung zu äussern. Ein politisches Engagement wird es aber nicht, keine Angst (lacht).

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Wie die meisten Journalist:innen in Winterthur studierte auch Tizian an der ZHAW. Anders als die meisten aber begann er in der Kommunikation, bevor ihn der Journalismus rief. Nach fünf Jahren bei Zuriga startete Tizian bei der Andelfinger Zeitung in den Lokaljournalismus.

Doch bereits nach zweieinhalb Jahren zog es ihn weiter. Allerdings nicht, weil er die Passion für die journalistische Paradedisziplin verloren hatte, im Gegenteil. Als Mitgründer und Chefredakteur von WNTI, macht er jetzt das, was "Winti Chinde" am besten können – über ihre Stadt erzählen.

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