Drei Emils, ein Andreas und viel Geschichte

Exotisch oder währschaftlich, mit oder ohne Fleisch? Wir sind es gewohnt, die Wahl zu haben, wenn wir ausgehen. Vor 100 Jahren gab es im Gasthaus, was es an dem Tag gab. Fleisch kam dann auf den Tisch, wenn grad eine Sau geschlachtet worden war.

So auch in der Taverne zum Hirschen in Wülflingen. Diese feiert kommendes Wochenende ihr 100-Jähriges. Stefanie und Andreas Perret führen das Gasthaus seit 2016 in der vierten Generation, die Urgrossmutter von Andreas wuchs im Nachbarhaus auf und erwarb es 1925 zusammen mit ihren Geschwistern. Andreas ist der erste Inhaber, der nicht Emil heisst. Eigentlich wollte er als Eishockey-Profi Karriere machen, aber eine kaputte Schulter zerstörte den Traum. Während er noch in der ersten Mannschaft des EHC Winterthur spielte, eröffnete er mit zwanzig die 1st choice Bar im Nebengebäude. Auch sie feiert Geburtstag – 20 Jahre.

20250917_Perrets_Maria
Andreas und Stefanie Perret sind seit der Jugend ein Paar. Ihre zwei Kinder sind auf der Webseite als Teammitglieder aufgeführt, als Dino-Drink Mixer und Glacé-Testerin. (Bild: Maria Wyler)

Bei der Übernahme sei alles sehr schnell gegangen, so Stefanie – Andreas hatte seit seiner Kochlehre mitgeholfen und wusste Bescheid. Die ganze Familie war immer involviert gewesen, Vater Emil stand noch lange in der Küche. Ihn dann zu ersetzen, sei nicht einfach gewesen, so die Geschäftsführerin. Überhaupt finde sie Personalwechsel herausfordernd: «Immer wenn man denkt, jetzt ist grad gut, kommt wieder etwas.» Das Team sei die Basis, und wenn jemand gehe, müsse auch wieder ein würdiger Ersatz gefunden werden. Was nicht heisst, dass alles beim Alten bleiben muss. Die Perrets hatten immer wieder den Mut, Dinge anders und neu zu machen. «Dass Kinder die Eltern vor den Kopf stossen, wenn sie den Betrieb übernehmen, ist unumgänglich», so Andreas. Ein solcher Moment sei gewesen, als er die Gemälde des Grossvaters – ein begnadeter Künstler – im Restaurant abhängte. Einen Weg habe man immer gefunden, Familienzusammenhalt wird im Hirschen grossgeschrieben.

20250917_Hirschen_Maria
Wer die Taverne besucht, kommt nicht um ihre Geschichte herum. Sie ist in jedem Raum gegenwärtig, hängt an Fassade, Wänden und Decke. Den Bacchus (römischer Gott des Weines) mit dem Hirschen hat Andreas` Grossvater geschmiedet. (Bild: Maria Wyler)

Um die verschiedenen Bedürfnisse zu jonglieren, muss man sich gleichermassen für älteren und für die jüngeren Generationen interessieren. Perrets Geheimnis heisst Kundenpflege. So hätten sie beispielsweise während der Pandemie bei älteren Stammgästen persönlich angerufen und ihnen die Sache erklärt. Stefanie lieferte mit Baby im Schlepptau Essen aus. Als sie bis 17 Uhr geöffnet haben durften, fragten sie die Jassgruppen, ob sie nicht um 14 Uhr statt um 17 Uhr kommen wollten. 

«Heute musst du gute alkoholfreie Alternativen haben. Wer einen Abend lang an einem Halbliter Mineral nippen muss, ist nicht glücklich – und wir auch nicht.»

Andreas Perret, Inhaber Taverne zum Hirschen

Auch Vereine spielen eine wichtige Rolle im Hirschen. Jeden Abend hätten sie welche da, manchmal drei bis vier gleichzeitig, so Andreas. Wer abends nach dem Sport Hunger hat, brennt im Hirschen nicht an. «Wir sind froh, dass sie zu uns kommen, dann kochen wir auch gerne noch für sie», erklärt der Inhaber. Er sei leider kein Künstler wie sein Grossvater, aber er könne Menschen vernetzen. «Hier bei uns sind alle gleich. Der Bänker sitzt neben dem Anwalt und dem Handwerker an der Bar, alle haben ein Bier vor sich und es funktioniert.»

20250917_Stübli_Maria
Das Wandbild im Stübli erinnert daran, dass hier früher das Milchlädeli war. (Bild: Maria Wyler)

Apropos Bier – Dass das Konsumverhalten sich verändert, merken auch Perrets. «Heute musst du gute alkoholfreie Alternativen haben. Wer einen Abend lang an einem Halbliter Mineral nippen muss, ist nicht glücklich – und wir auch nicht.» Auch wenn die Leute bewusster konsumieren: Gutbürgerliche Küche kommt nach wie vor gut an. Für Andreas ist es selbstverständlich, dass in ihr mit Schweizer Produkten gekocht wird. Mit dem Kartoffelbauer arbeiten sie schon in der dritten Generation zusammen. Wenn ihr Eierlieferant zu kleine Eier habe, die er nicht verkaufen könne, machten sie spontan Spätzli und aus den nicht so schönen Äpfel des Apfelbauers Apfelmus. «Alles, was geht, wird selbst gemacht. Frische ist das wichtigste Kriterium.»

20250917_Hirschen_alt_Maria
Dieses Bild zeig die Taverne zum Hirschen im Jahr 1965, mit dem alten Wirtshauschild und dem Hirsch-Mosaik von Emil Perret sen. Rechts das Milchlädeli – Milch, Käse, Brot (zvg.)

Nicht weit weg, am Brühlberg vorbei Richtung Töss, tönt es ähnlich. Dort hat das 90 Jahre jüngere Les Wagons gerade seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Es steht für moderne und nachhaltige, auch experimentelle Küche. Statt einer klassischen Karte gibt es Tavolata – Gerichte in Schälchen zum Teilen. 

Das Gründungs-Team Anja Holenstein und Floh Moser war früher im Portier angestellt und wollte was Eigenes. Alles selber entscheiden und verkaufen, wohinter sie voll stehen können. Die Philosphie: Regionale Zutaten, aber richtig fein gekocht. «Die Leute sollen bewusst kommen, nicht einfach, weil sie grad vorbeilaufen. Deshalb kam die Altstadt nie in Frage», so Anja. Und klein sollte es sein. Floh habe die Idee gehabt, einen Zugwagen umzubauen. Der kleine grüne Zug der SZU (Sihltal Zürich Uetliberg Bahn) stand damals im Verkehrshaus und wurde ihnen angeboten, nachdem die SZU über verschiedene Ecken von ihren Plänen erfahren hatte. Dass es eng ist, nerve nur manchmal, sagt Anja. Man könne nichts irgendwo hinstellen, dafür hätten sie kurze Wege und seien gezwungen, Ordnung zu halten. Die Nähe mache es familiär – was auch erklärt, warum man sich im Les Wagons duzt. 

20250917_LesWagons_Maria
Anja und Floh verliebten sich sofort in den kleinen Zug, das Konzept entstand um ihn herum. Dieses Foto stammt vom Jubiläumsfest am 30. August. (Bild: zvg)

Seit zweieinhalb Jahren ist Co-Chefin Judith Janker dabei. Das Team fordert die umliegenden Gemüsehöfe mit ihren unkonventionellen Ideen heraus – wenn sie etwa Blumenkohlblätter, welche normalerweise direkt entsorgt werden, für ein Gericht brauchen. Oft finden sie bei kleineren Betrieben, was sie suchen, besprechen ihre Spezialwünsche direkt auf dem Wochenmarkt. Nach Saison zu kochen, sei für sie eine Selbstverständlichkeit. Die Regionalität sei die grössere Knacknuss: «Wir betreiben einen immensen Aufwand, gewisse Hülsenfrüchte, speziellen Tofu, Mozzarella, Molke, Pilze und dergleichen zu besorgen», erzählen die beiden Frauen. Der logistische Aufwand lohne sich aber. «Unser Herz brennt dafür, die Geschichten der Produkte an die Gäste zu bringen und so die Lücke zwischen Produzent:innen und Konsument:innen zu schliessen.» 

WNTI-Portrait-Maria-Wyler

Jonglieren kann Maria eigentlich nicht. Wir finden aber schon. Denn sie schreibt für WNTI, organisiert den Alltag ihrer drei Söhne und musiziert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen machte sie beim Mamablog des Tages-Anzeigers und als freie Texterin. Heute findet sie ihre Geschichten in all den Menschen, die sie in den 20 Jahren, in denen sie in der Stadt wohnt, kennen und schätzen gelernt hat.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare